Auf verlorenem Posten

Luc Percevals Polyphonie »Front« am Thalia Theater

Und ewig ziehen die Wolken (Bild: NF/HHF)
Und ewig ziehen die Wolken (Bild: NF/HHF)
Und ewig ziehen die Wolken (Bild: NF/HHF)

Ein etwas zer­rupftes Orch­ester aus 12 Schaus­piel­ern ist es, das – instru­menten­los – in weißen Hem­den und schwarzen Jack­ets die Bühne betritt. Die Assozi­a­tion entspricht dem Unter­ti­tel: Eine “Poly­phonie” nen­nt Luc Perce­val seine Col­lage FRONT, die auf Deutsch, Franzö­sisch, Flämisch und Englisch gesprochen wird. Das Ensem­ble hat Noten­stän­der vor sich, die es nicht benützt – außer, um mit den angek­lemmten Lam­p­en Licht zu machen, sich selb­st anzus­trahlen oder dahin­ter zu sitzen, was den Gesichtern Schat­ten gibt, die sie schmal ausse­hen lassen, hohlwangig und leer.

Ein düsteres Grollen unter dem Geschehen. Einzige Instru­mente sind die Stim­men der Schaus­piel­er und das Büh­nen­bild – eine Klan­gin­stal­la­tion aus Stahl und Blech, die in Schwingung, Lärm, Bewe­gung ver­set­zt und auf die pro­jiziert wer­den kann. Ohren­betäubend ist der Don­ner, der daraus erzeugt wer­den kann, aber auch unheil­voll rumorend aus der Ferne.

Luc Perce­val nimmt uns mit FRONT in die noch heute präsente Geschichte sein­er Heimat Flan­dern, die eigentlich von den Deutschen im ersten Weltkrieg nur als Pas­sage für den Angriff auf Frankre­ich genutzt wer­den sollte. Doch sah Bel­gien sich in sein­er Neu­tral­ität ver­let­zt und stellte sich den deutschen Sol­dat­en ent­ge­gen. Englis­che Sol­dat­en kamen den Flan­dern zu Hil­fe. Und so lagen sich zwis­chen 1914 und 1918 Fran­zosen, Bel­gi­er, Englän­der und Deutsche in einem sinnlosen Stel­lungskrieg in den Schützen­gräben der Front gegenüber, die sich in all den Jahren kaum bewe­gen sollte.

Es sind viel­stim­mige, vielschichtige und viel­sprachige Sit­u­a­tio­nen, die wir wahrnehmen wie durch das Kalei­doskop des Krieges. Der ver­let­zte Melder, der um sein Leben brüllt, die Deutschen, die darüber sprechen, dass sie den Kam­er­aden nicht find­en, und die Fran­zosen, die sich fra­gen, warum die deutschen Sol­dat­en ihren Fre­und nicht holen kom­men – ein zweis­prachiger Gesang auf die Absur­dität des Geschehens.

Das Don­nern der Front so laut, dass es einem den Atem ver­schlägt, und auf der Bühne drehen sich eine Hand­voll Schaus­piel­er im Kreis. Schnell und immer schneller wirbelt die Bewe­gung die Men­schen auf der Bühne, laut und immer lauter wird das Toben der Waf­fen. Dann endlich: Die Schaus­piel­er gehen nach und nach zu Boden. Erlösende und unheil­volle Stille. Erschöp­fungsstille. Todesstille.

“Unsere Gesichter sind verkrustet, unsere Gedanken zer­rüt­tet.” sagt ein­er. Und dann plöt­zlich die Schreie. “Gas! Gas! Gas”. Das Büh­nen­bild­met­all schwingt wabernd, während die Pro­tag­o­nis­ten mit den Gas­masken kämpfen, ein Geräusch wie unter Wass­er. Ein Pulsieren, ein Flim­mern, mehrstim­miges Atmen, das Ein­saugen der Luft durch die Masken.

Perce­val und seine Dra­matur­gen set­zen wed­er auf Voll­ständigkeit noch auf his­torische Erk­lärun­gen. Was sie schaf­fen, ist eine Art Pro­jek­tions­fläche des Krieges. Texte von Erich Maria Remar­ques “Im West­en nichts Neues”, “Le Feu” von Hen­ri Bar­busse und Zeit­doku­mente wie Briefe oder Front­tage­büch­er schaf­fen einen Klangtep­pich des Mor­dens. Kein­er spielt Krieg, nichts wird nachgestellt oder abge­bildet. Es wird lediglich mehrsprachig gesprochen. Daraus gelingt eine solch bek­lem­mende Inten­sität wie keine mimetis­che Darstel­lung, keine Abbil­dung der Real­ität das leis­ten kön­nte.

Über das inter­na­tionale Ensem­ble ziehen die Wolken und Bilder aus dem zweit­en Weltkrieg, auf der Zinnkachelfläche des Büh­nen­bilds. Zart nehmen die bit­teren Geschicht­en des Krieges Form an, um schnell wieder zu verblassen, wieder­aufgenom­men zu wer­den und schließlich zu ver­s­tum­men. Die kurze Liebe zwis­chen einem ver­wun­de­ten Sol­dat­en und ein­er Kranken­schwest­er im Lazarett, die an die Front kam, um ihren im Krieg gefal­l­enen Ver­lobten zu vergessen. Der Bauerssohn, der seine Eltern per Brief wis­sen lässt, wie sehr er die Tiere auf dem Hof ver­misst. Die Erzäh­lung von ver­wun­de­ten Pfer­den. Der bel­gis­che Emiel, der sein­er Schwest­er Marie schreibt, die längst tot ist. Paul, der einen ver­let­zten Kam­er­aden ins Lazarett trägt, um dort zu bemerken, dass der es nicht geschafft hat.

Ein grausamer Reigen geht über die Bühne, er erzählt von Rat­ten und Kak­er­lak­en im Schützen­graben, von Schmerz und Elend, Auf­begehren und Unver­ständ­nis. Der Ver­di­enst Luk Perce­vals ist sein Ver­trauen in die Texte, die Stim­men hör­bar zu machen, die All­ge­me­ingültigkeit zu erken­nen, die darin steckt. Der Abend endet mit Schnee und einem flämisch-deutschen Sprach­duett, bevor die Lam­p­en aus­geknipst wer­den. Es ist schreck­lich still.

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