Bene-Diktum: Gottsucher

Gast-Kolumnist Hans-Jürgen Benedict über Martin Walsers kleinen Band »Über Rechtfertigung, eine Versuchung«

Martin Walser hat ein  kleines the­ol­o­gis­ches Buch geschrieben: “Über Recht­fer­ti­gung, eine Ver­suchung.”  Der 85 jährige Schrift­steller,  seit seinem Roman “Ehen in Philipps­burg” 1957 eine lit­er­arische Insti­tu­tion der Bun­desre­pub­lik, hat zulet­zt sich in seinem aus­laden­den Alter­swerk “Mut­ter­sohn” bere­its mit dem Glauben und der religiösen Dimen­sion des Lebens inten­siv beschäftigt.

Nun aber – eine kleine the­ol­o­gis­che Stre­itschrift, die es in sich hat. Mar­tin Walser erin­nert mit Kafkas Josef K., mit Robert Walsers, Thomas Manns  und Jean Pauls Roman­fig­uren daran, dass es im Leben des Men­schen entschei­dend um Frage geht, ob er gerecht­fer­tigt sei. Er lobt die Selb­stvernei­n­ung­sorgien dieser Autoren. Und er ent­deckt den frühen Karl Barth des Römer­briefs, jenen rich­tungsweisenden Schweiz­er The­olo­gen des 20. Jahrhun­derts, und er ent­deckt dessen sprachge­waltig dialek­tis­chen Ver­such der Beschrei­bung der Sit­u­a­tion des Men­schen vor Gott, zitiert ihn seit­en­lang enthu­si­as­miert: “Der Glaube bleibt nur als Glaube übrig, ohne Selb­st­wert, ohne Eigenkraft, ohne eine Größe sein zu wollen, wed­er vor Gott noch vor den Men­schen”. Er ste­ht voll und ganz zu der Aus­sage Barths, dass der Men­sch vor Gott immer der Angeklagte bleibt.

Walser  ent­deckt und bekräftigt mit Paulus und vor allem mit dem radikal intol­er­an­ten Augusti­nus Gottes men­schlich gese­hen ungerechte Gnaden­wahl – dass er den Erst­ge­bore­nen, Esau, ver­wirft und Jakob erwählt. Das was mit diesem Motiv passiert, solle man lesen wie einen Roman, schlägt Walser vor. Er zitiert Paulus, “Wer bist du Men­sch, dass du mit Gott recht­est.”  Und fragt dann: “was müssen diese Men­schen erfahren haben, dass sie Gott so groß und den Men­schen so klein erlebt haben.”  Ich jeden­falls, beken­nt Walser, bleibe Augustins Bewun­der­er.

Zuge­spitzt sagt er: “Recht­fer­ti­gung ohne Reli­gion wird zur Rechthaberei.” Wir seien “Rechthabezw­erge”, unser ganzes Leben sei darauf aus­gerichtet recht haben zu wollen, auch er sel­ber habe daran Anteil.  Das “Bedürf­nis nach Recht­fer­ti­gung” sei uns ver­lorenge­gan­gen. Wir heuti­gen Men­schen seien solche ‚die andere und die Ver­hält­nisse ankla­gen, anstatt die Schuld ein­mal bei uns sel­ber zu suchen. Wir soll­ten endlich ein­mal zugeben, dass uns etwas fehlt, dass uns Gott fehlt. “Meine Muse ist der Man­gel.” Das treibe ihn zum Schreiben. Und er ver­weist auf Niet­zsches Dionysos-Dithyra­m­ben, in denen er Ari­adne so  her­rlich kla­gen lässt: “O komm zurück, mein  unbekan­nter Gott, mein Schmerz, mein let­ztes Glück.”

Und er zitiert den Barth-Satz – zwei mal sog­ar: “Als der unbekan­nte Gott wird Gott erkan­nt, als der ‚an den man nur ohne Hoff­nung auf Hoff­nung hin glauben kann.” Also der Schmerz, das Lei­den ist es, was den Men­schen über sich hin­aus­treibt. “Schön wird etwas nur durch bestande­nen Schmerz”. So sei es bei Äschy­los‘ Prometheus, so bei Hölder­lin, Kaf­ka, so auch in Niet­zsches Ecce homo und selb­st noch im Anti-Christ.

Walser hat über seine Schrift­stellerei mal gesagt, sie beste­he in dem Ver­such “etwas so schön zu sagen, wie es noch nicht ist”. Genau diese Ein­sicht wen­det er jet­zt auf die The­olo­gie an – schon in “Mein Jen­seits”  heißt es “der Glauben mache die Welt schön­er als das Wis­sen.”  Und: “Glauben heißt die Welt so schön machen, wie sie nicht ist.” Jet­zt heißt es: gelun­gene The­olo­gie sei eigentlich Dich­tung. “Karl Barths Sprache ist nicht weniger Dich­tung als die Sprache Niet­zsches. Aber bei­de erin­nern an eine Zeit, in der es den Unter­schied zwis­chen Dich­tung und Reli­gion nicht gab. Die Psalmen. Das Alte und das  Neue Tes­ta­ment”.

Barth tanze genau­so mit den Wörtern wie Zarathus­tra, aber es ist ein Tanz mit der Nega­tion, “ein dialek­tis­ch­er Tanz”, aufgelöst in Bewe­gung, ins Umkreisen der Gnade, ins Erleb­bar machen, dass uns etwas fehlt. Das ist eine wichtige Ein­sicht – The­olo­gie als über etwas klug reden geht an den Men­schen und ihren exis­ten­tiellen  Fra­gen vor­bei, man muss in etwas sein  und reden. Das fehlt in der The­olo­gie von heute oft. Diese Dimen­sion erre­ichen Filme eher (etwa Lars von Tri­ers Break­ing the Waves oder Melan­cho­lia).

Walser Begeis­terung für den frühen Barth ist nachvol­lziehbar. Den mit­tleren Barth mit der nicht enden wol­len­den Sua­da sein­er Kirch­lichen Dog­matik, einen Regal­me­ter bre­it, und seinem Offen­barungspos­i­tivis­mus blendet er völ­lig aus. Da müsste er soviel lesen, dass er selb­st nicht mehr zum Schreiben käme. Allerd­ings irrt Walser, wenn er meint, Barth sei der Kirchen­vater unser­er Zeit und nicht mehr Schleier­ma­ch­er. Es ist genau umgekehrt – die klu­gen lib­eralen  The­olo­gen von heute gehen wieder von Schleier­ma­ch­er aus. Von seinem “Glaube sei Geschmack für das Unendliche”, der sich in allen möglichen kul­turellen Pro­duk­tio­nen zeigt, die von den The­olo­gen mit Fleiß analysiert wer­den. Denen aber der Hunger nach Gott, die Sehn­sucht nach Recht­fer­ti­gung ver­loren gegan­gen ist.

Walser gibt bekan­nt (denn ursprünglich war der Text eine an der Har­vard Uni­ver­si­ty 2011 gehal­tene Rede), er möchte am Fre­itag um 13 Uhr ein Sem­i­nar anbi­eten, das sich mit diesen Fra­gen beschäftigt und in dem vor allem Barth und Niet­zsche gele­sen wer­den sollen. Ich melde  mich virtuell für dies Sem­i­nar an  und werde als erstes wieder zum Römer­brief- Kom­men­tar Barths greifen. Und dann möchte ich mit Walser darüber disku­tieren, was die gesellschaftlichen Ursachen dieses Nicht­fra­gens nach Recht­fer­ti­gung , dieses Zufrieden­seins mit dem Rechthaben­wollen sind.

Fehlt uns die Not der Fig­uren Dos­to­jew­skis und Kafkas? Und ist diese Recht­fer­ti­gung bei uns ver­steckt beant­wortet in der ästhetis­chen Produktion(so wie schon Niet­zsches sagte, die Welt sei “allein als ästhetis­ches Phänomen gerecht­fer­tigt”, etwa durch den Ton eines Dudel­sacks, die Musik)? Und bei denen, die im gesellschaftlichen Unten sind, ist sie da still­gelegt durch die All­ge­gen­wart der Massen­me­di­en, die unter­halt­sam ablenken? Oder ist die Zeit ein­er expres­siv-dich­ter­ischen Gottsuche vor­bei und zeigt sich exis­ten­tiell nur noch in frag­würdi­gen Fun­da­men­tal­is­men?

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