Das ist eine politische Frage …

Der Broadway-Klassiker "Anatevka" im St. Pauli Theater

Deideldideldeideldum (© claudia Otte - Fotolia.com)

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Unge­mein pop­ulär war er, der Schein­russe Iwan Rebroff, in den 70er und 80er Jahren in Deutsch­land. Zu den immer wiederkehren­den Klas­sik­ern seines gele­gentlich pseu­do-osteu­ropäis­chen Reper­toires gehörte auch “If I Were a Rich Man” aus “Anat­ev­ka”, dem 1964er Broad­way-Erfolg. Das Musi­cal lief auch in Deutsch­land end­los und dem Song kon­nte in dieser Zeit wohl nie­mand ent­ge­hen, der ein TV-Gerät sein eigen nan­nte. Der Deutsche liebte anscheinend diesen rus­sisch-jüdis­chen Milch­mann, und endlich hat­te er auch die Gele­gen­heit sich zu einem Juden zu beken­nen, und außer­dem noch zu sehen, dass es dem Volk, das er 20 Jahre zuvor aus­löschen wollte, ja auch schon vorher schlecht ging und er nicht allein Täter war. Die putzig-deko­ra­tive Welt des Milch­manns, arm, aber irgend­wie doch glück­lich, weich­herzig und schick­salsergeben war – das vor allem, war viel genehmer als Veit Har­lans Schandw­erke und vor allem gewis­sens­bere­inigt. Und wenn’s dann noch ostisch dialek­tet, dann war der Schtetl-Zuck­er­guss des Broad­ways auch in der gequäl­ten deutschen Seele angekom­men. Das der Urtext des Musi­cals von Scholem Ale­jchem stammte, einem der bedeu­tend­sten Vertreter der jüdis­chen Lit­er­atur und frühem Ver­fechter des Zion­is­mus, stand im D‑Mark-Deutsch­land nie im Vorder­grund. Warum auch.

Ulrich Waller, der “Anat­ev­ka” jet­zt am St. Pauli-The­ater mit ziem­lichem Aufwand auf seine kleine Bühne gebracht hat, weiss sicher­lich um diese Geschichte. Natür­lich bedi­ent er die Klis­chees von Joseph Stein und Jer­ry Bock, den bei­den Musi­cal-Schreibern aus New York, die Häuschen des Kle­in­städtchens sind hüb­sch wind­schiefe Ver­satzstücke, der Hor­i­zont glüht in allen Far­ben der Taiga und seine her­vor­ra­gend disponierten sechs Musik­er (Musikalis­che Leitung: Matthias Stötzel) tra­gen Weste und Kip­pa, damit auch ja alles klar ist. Das erwartet sein Pub­likum, dessen Pro­fil doch ein anderes ist als das der großen Häuser an Kirchenallee und Alster­tor. Aber er erliegt nicht der Ver­suchung, dem Stoff mehr Effet zu geben, als er ohne­hin schon hat. Kein jid­dis­ch­er Dialekt, radikal auf Anschluss gespielt, zumin­d­est zu Anfang auf ras­antes Tem­po geset­zt, da kommt man nicht so sehr in die Ver­suchung sich in der Beschaulichkeit­sauce zu ver­lieren. Seine Ensem­ble ist stimm­lich wie darstel­lerisch stark beset­zt, die Grup­pen­szenen sind schön in den knap­pen Raum gestellt und nicht ein­mal die Tanz­erei ist pein­lich.

Und wenn die Damen, mit Kaf­tan, Hut und Rauschebart verse­hen, ras­ant um die Dor­fge­sellschaft trip­peln, dann fühlt man sich schon fast wie in einem dieser fab­ulösen Woody-Allen-Fil­mu­si­cals.

Die Sto­ry stimmt, der Rhyth­mus stimmt, am Ende hat Tev­je seine Töchter alle an die Män­ner gebracht, die er nicht wollte, die Zeit zer­fällt und alle brechen auf zu den neuen Ufern des Exils. Masel­tov und aus. Der alte Ram­p­entiger Gus­tav-Peter Wöh­ler, der den Tev­je entre­brofft und keinen Zweifel an sein­er ful­mi­nan­ten Kun­st aufkom­men lässt, hat die Sache eben­falls fest im Griff. Alle anderen (Adri­ana Altaras, Ange­li­ka Bartsch, Vic­to­ria Fleer/Sonja Grün­de­mann, Hei­de Grübl, Torsten Ham­mann, Niels Hansen, Knut Koch, Ulrich Lenk, Mari­na Lubrich, Rossen Pran­gov-Rossi, Mario Ramos, Tim Rein­gru­ber, Anneke Schwabe, Mark Weigel, Richard Zapf) ste­hen ihm in nichts nach, es ist alles zwar unüber­raschend, aber wirk­lich gut gemacht. Aber es ist eben nun auch – so wie der Antrag des Frührev­o­lu­tionärs Per­chik im Stück – “eine poli­tis­che Frage”. Und da fängt die Sache an zu hinken.

Was Waller näm­lich nicht macht, ist die Geschichte auf irgen­deine Weise in die heutige Zeit zu führen. Da hil­ft auch nicht die zugegeben­er­maßen hüb­sche Idee, eben jenen Rev­o­lu­tionär Per­chik in schön­ster Stumm­film­manier, mit Zwis­chen­titeln und rol­len­den Augen, zu pro­jezieren und damit die Zukun­ft der rus­sis­chen Gesellschaft zu prophezeien. Es fehlt in der Tat an der Ver­mit­tlung des Wis­sens, was kom­men wird. Das halb­herzige Pogröm­chen der Musi­cal-Fas­sung, das ja am Ende zu Auswan­derung der Juden aus dem vor­rev­o­lu­tionären Rus­s­land führt, ist eine hinge­hauchte Andeu­tung – eine kleine Prügelei, ein zer­fet­ztes Kissen, das war’s dann auch schon. Ein biss­chen mehr ein­er Ahnung der in den näch­sten fün­fzig Jahren fol­gen­den Ereignisse kann und müsste auch dieses Stück mit­tler­weile ver­tra­gen. Das ist dann schon eine Gefahr des schö­nen, flot­ten Anschlußspiels, fürs Hin­ter­grund­denken bleibt da weniger Zeit als für den schö­nen Effekt, es reicht dann nicht, den Schmäh wegzus­pie­len und anson­sten auf die Kraft des Stoffes zu ver­trauen. Und die Frage stellt sich ein­fach: Warum muss man genau dieses Stück machen, wenn es nicht noch mehr zu erzählen hat als ein paar Lied­chen und eine flotte Hand­lung?

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