Equilibristik

Molières »Schule der Frauen« – Herbert Fritsch unterhält das Deutsche Schauspielhaus

Alles ist Stil. (Bild: HHF)

Was für ein merk­würdi­ges altes Stück The­ater: Ein unlei­dlich­er Men­sch mit genü­gend Macht und Geld sper­rt ein Mäd­chen über Jahre ein und hält es von jed­we­den Umwel­te­in­flüssen fern, um sich eine fügsame Ehe­frau her­anzuerziehen.

Solcher­lei Exper­i­mente gibt es so einige im lit­er­arischen Fun­dus des 17. und 18. Jahrhun­dert, die Vorstel­lung, dass die Gesellschaft den Men­schen in sein­er moralis­chen und emo­tionalen Entwick­lung präge, ist ihr so eigen wie kaum ein­er anderen Epoche.

Diesen pro­toaufk­lärerischen Ver­such­sauf­bau, geschaf­fen, um hin­ter die Fas­sade men­schlich­er Regel­haftigkeit und Etikette zu blick­en, find­et man bei Mari­vaux (“Der Stre­it”) eben­so wie bei Molière, und selb­st Loren­zo da Pontes so weit entwick­eltes und oft verkan­ntes “Cosi”-Libret­to fußt auf dieser Kon­stel­la­tion zwis­chen Spiel, dem Blick hin­ter die Fas­sade und dem wis­senschaftlichen Exper­i­ment. Am Ende ste­ht in der Regel der Sieg des Gefühls über das The­o­rem und die moralis­che Belehrung des Exper­i­men­ta­tors.

Dieser Stoff ist also auch hier in Molières “Schule der Frauen” zu find­en, ein­er der ersten großen Erfolge des franzö­sis­chen Meis­ters aus dem Jahre 1663, der dann auch sogle­ich einen hüb­schen kleinen Kul­turstre­it aus­löste. Das ist sehr lange 351 Jahre her und soll auch jet­zt noch unser Inter­esse weck­en.

Die emo­tionale Gesellschaft­slehre dieser Zeit ist inzwis­chen ein­er bürg­er­lichen Vorstel­lung “roman­tis­ch­er” Liebe gewichen, die Exper­i­mente find­en heutzu­tage ander­weit­ig statt, nicht mehr in der Kon­struk­tion von Liebes-Kon­stel­la­tio­nen. Was diese Geschichte heutzu­tage zu erzählen hat, kön­nte eine über­aus span­nende Fragestel­lung sein. Kön­nte.

Nun wäre aber der Regis­seur Her­bert Fritsch, Cas­torf-Schaus­piel­er und the­ater­berühmter wilder Büh­ne­nun­ter­hal­ter, nicht Her­bert Fritsch, wenn ihn diese Frage auch nur im ger­ing­sten inter­essieren würde. Zu sehen bekommt der geneigte Zuschauer näm­lich eine wilde Hochgeschwindigkeits-Show mit ful­mi­nan­ter Schaus­piel­er­leis­tung, aller voran Joachim Mey­er­hoff, der just diesen unlei­dlichen Arnolphe gibt, der das Exper­i­ment ver­ant­wortet.

Dieser ist ein Schaus­piel­er, der mit all sein­er expres­siv­en Kun­st­fer­tigkeit, bril­lant bis zur Schmerz­gren­ze und solis­tisch-ego­man­isch seinen Molière-Text über die Rampe kotzt, dass das Echo von den Logen wider­hallt und merk­würdig syn­thetis­che Sound­ef­fek­te bildet. Und man lernt vor allem die uner­bit­tliche Exak­theit der Komödie ken­nen, etwas, das dem ver­meintlich so anar­chis­chen Regis­seur schw­er ent­ge­gen kom­men muss, denn das ist die andere, ungle­ich größere Erken­nt­nis des Abends.

Der Mann ist tat­säch­lich ein struk­tu­raler Pedant und damit erstaunlicher­weise mehr der kul­turellen Dis­po­si­tion des Barocks verpflichtet als man zunächst annehmen möchte. Das äußert sich nicht nur in der Exak­theit dessen, was man gemein­hin so als “Tim­ing” beze­ich­net – dass das zu stim­men habe in der Komödie, ist eine Binse.

Es sind jedoch die streng chore­o­gra­phierten Auftritte, die genauen, geometrisch anmu­ten­den Posi­tion­ierun­gen der Fig­uren, das Spiel mit Raum und Tiefe, das opern­haft Rez­i­ta­tive, deren for­male Gebun­den­heit ein­er Vorstel­lung barock­er Lebensweise ent­ge­genkom­men kön­nen.

Diese Zeit, die sich in jed­er Aus­drucks­form der Struk­tur, dem “Stil”, verpflichtet fühlte, in ihrer alleu­ropäis­chen Verun­sicherung durch das große Schlacht­en des frühen 17. Jahrhun­derts, hangelt sich an der Form ent­lang und hält sich fest. Fugen­prinzip, axi­al­sym­metrische Gärten, Vers­maße, all das sind die bewahren­den Ele­mente der Aus­druck­skun­st jen­er Epoche. Und die find­et sich hier nun wieder in den struk­tiv­en und for­malen Ele­menten dieser Büh­nen­schau des frühen 21. Jahrhun­derts.

Die Dra­matur­gin und Fritsch Ko-Adju­torin Sab­ri­na Zwach hat zudem eine biegsame, rhyth­misch treibende Über­set­zung geschaf­fen, die der Allei­n­un­ter­hal­ter Mey­er­hoff mit Lust solange biegen darf, bis er auch der let­zte Kalauer aus der molièrschen Urform gepresst wird. Es ist ein gross­er Spaß und gewiss in sein­er circensis­chen Clowner­ie eine der Schicht­en des molièrschen The­aters.

Vergessen kann man also das Ensem­ble­spiel, das Gle­ichgewicht der Fig­uren und das Beziehungs­ge­flecht des Stück­es. Wer da noch so auf der Bühne herum­ste­ht, seien es Josef Osten­dorf und Bet­ti­na Stucky als deko­ra­tiv-debil um die eigene Achse rotieren­des Diener­paar, der ewig schle­ichende Gegen­spiel­er Horace (Bas­t­ian Reiber) oder gar das stets den Blick senk­ende Dis­po­si­tion­sopfer Agnés (Karo­line Bär), tritt in der Hin­ter­grund des großen Solos. Aber man sieht ihnen gerne zu, immer­hin.

Fest verortet ist da im Übri­gen kein­er, ihre, auch Mey­er­hoffs, Boden­berührung ist immer fraglich, eine ständi­ge Beweglichkeit haben sie. Auch das bes­tim­mende Bühnenele­ment, ein mono­lithis­ches Holzhaus, scheint zu schweben vor dem Magrittschen Wolken-Rück­en­prospekt. Alles ohne Fun­da­ment, ohne Basis, Equi­lib­ris­tik alles das, siehe oben.

Die Ausstat­tung hinge­gen ergibt eine merk­würdi­ge Mis­chung aus Rokoko, Barock und dem Klis­chee von all dem. Das grotesk über­pud­erte Gesicht gehört eben­so dazu wie das Cem­ba­lo-Accom­pa­g­na­to-Gezirpe. Dif­fus in irgen­deine Vision des Rokoko geschub­st, hie das “Panier”, der Reifrock, der Frauen, dort die nacken­zop­fige Perücke der Her­ren (Kostüme: Vic­to­ria Behr). Das ist zwar alles rund 100 Jahre nach Molière, das tut aber nichts zur Sache, da es offen­bar ohne­hin nur um den Ein­druck ein­er “irgend­wie” his­torisch verorteten Epoche geht.

Die spielt auch keine Rolle, denn eine Bezug­nahme, eine Art der Reflex­ion des his­torischen Stoffes find­et auch hier nicht statt. Die Geste des Deko­rs genügt vol­lauf. Dort sind wir wieder beim schon erwäh­n­ten barock­en “Stil”, etwas, was sich der­ar­tig klis­cheeisiert in das kul­turelle Gedächt­nis gefräst hat, dass es offen­bar auch hier­für taugt.

Theodor W. Adorno hat­te Ende der sechziger Jahre in einem klu­gen Auf­satz vom “miss­braucht­en Barock” gesprochen und damit den deko­ra­tiv­en Gebrauch der barock­en Struk­turen durch die bürg­er­liche Gesellschaft stig­ma­tisiert. Darüber kön­nte man auch hier nach­denken und sich die Frage danach stellen, ob hierin, im Rück­griff auf das rein Deko­ra­tive, nicht die wahre Spießigkeit des so avant­gardis­tisch auftre­tenden Abends liegt. Demzu­folge wäre ja auch die ein­gangs gestellte Frage nach dem inszena­torischen Inter­esse hin­fäl­lig – aber vergessen wir das, wirk­lich. Was für eine geile Show …

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