Neuland

»Schiff der Träume« von Karin Beier – ein Lehrstück

»Schiff der Träume« von Karin Beier – ein Lehrstück
Die wollen nur spielen. (Bild: © Matthias Horn, 2015)

Es ist nur ein klein­er Augen­blick, ziem­lich zu Ende dieses lan­gen Stück­es. Da antwortet der Schaus­piel­er Char­ly Hüb­n­er in der Rolle des Diri­gen­ten Karsten Schröder in Karin Beiers Felli­ni-Adap­tion »Schiff der Träume« auf die Frage, wer er denn eigentlich sei: “Der Diri­gent.” Der Fragesteller fällt ihm ins Wort: “Stimmt nicht, du bist Schaus­piel­er am Deutschen Schaus­piel­haus”. Ein Lach­er.

Dieser kurze Moment, als­bald wegge­spielt vom Tem­po der Insze­nierung, ist ele­men­tar für das Ver­ständ­nis dieses The­at­er­abends. Denn, so ist es eingeübt in der Tra­di­tion des deutschen Sprech-The­aters, der Zuschauer will Erken­nt­nisse gewin­nen aus dem the­atralis­chen Moment. Vor über 200 Jahren hielt der noch nicht 25-jährige Friedrich Schiller in Mannheim eine Vor­lesung mit dem Titel “Was kann eine gute Schaubühne eigentlich wirken?”. Darin for­muliert er die Grund­la­gen eines bürg­er­lichen The­ater­ver­ständ­niss­es, einen Zusam­men­halt von Vergnü­gen und Belehrung, ja, von moralis­ch­er Instanz. Der Text wurde später unter dem Titel “Die Schaubühne als eine moralis­che Anstalt betra­chtet” in sein Gesamtwerk aufgenom­men.

»Schiff der Träume« von Karin Beier – ein LehrstückDer enthu­si­astis­che Vor­trag, voller parabolis­ch­er Übertrei­bun­gen, im Geiste des Sturm und Drang gehal­ten, man­i­festiert einen Anspruch an die Bühne, dessen Kern tief in das Herz des Abon­nen­ten­pub­likums einge­drun­gen ist. “Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der prak­tis­chen Weißheit, ein Weg­weis­er durch das bürg­er­liche Leben”, heißt es da. Das wirkt bis heute nach, das The­ater kann und soll uns Lösun­gen anbi­eten, wir wollen erken­nt­nis­be­laden nach Hause gehen.

Was läge da näher, als einen The­at­er­abend, der sich mit der Kon­fronta­tion zweier unter­schiedlich­er Kul­turen beschäftigt, als Mod­ell zu nehmen für die drän­gen­den Fra­gen der Zeit, für Migra­tion und Frem­den­begeg­nung? Doch so sim­pel ist die Sache nicht, auch wenn man sich, ein wenig ennuiert, dieser Illu­sion nur zu leicht hingeben kann.

Karin Beier hat sich eine son­der­bare Vor­lage gesucht, Fed­eri­co Felli­nis doch einiger­maßen in Vergessen­heit ger­atenes Werk “E la nave va” aus dem Jahre 1984, im deutschen Ver­leih hieß dieser Film dann “Schiff der Träume”. Aus ihm schöpft sie den Grund­plot, die Sit­u­a­tion, den dra­matur­gis­chen Motor. Die Kon­struk­tio­nen von Film und Büh­nenum­set­zung ähneln sich: Eine leicht manierierte Kul­turge­sellschaft von wes­teu­ropäis­chen Musik­ern, bei Felli­ni Kün­stler aus der Opern­welt des begin­nen­den 20. Jahrhun­derts, bei Beier Mit­glieder eines neutö­nen­den Orch­esters, ver­sam­meln sich auf einem Kreuz­fahrtschiff um eine her­aus­ra­gende Fig­ur aus ihrer Mitte auf dem Mit­telmeer zu bestat­ten. Man bewegt sich hie wie da in den Zwän­gen ein­er Grup­pen­si­t­u­a­tion, in der ela­bori­erten Kün­stlichkeit eines extrem kul­tur­al­isierten Miteinan­ders. Kurz bevor es zur feier­lichen Bestat­tung kommt, trifft das Schiff auf Flüchtlinge eines anderen Kul­turkreis­es, im Film sind es geflo­hene Ser­ben, kurz nach dem Sara­je­vo-Atten­tat im Juni 1914, hier – natür­lich und zeit­gemäß – Afrikan­er. Die “zivil­isierte” Gesellschaft muss reagieren.

Diese Gesellschaft auf dem zeit­genös­sis­chen »Schiff der Träume« kön­nte zynis­ch­er kaum dargestellt sein. So verkör­pern die Musik­er des Orch­esters, das sich bemüht, zur Seebestat­tung ihres Diri­gen­ten ein Werk namens “Human Rights 4” aufzuführen, genau jenen Pro­to­typ ein­er solip­sis­tis­chen Kul­turszene, die sich nur zu gerne um sich selb­st küm­mert. Vom Kar­ri­eris­ten (der Diri­gen­ten-Stel­lvertreter) bis hin zur veg­e­tarischen Weltverbesserin (Jose­fine Israel) ist beina­he jed­er Typus vertreten. Natür­lich ist das vortr­e­f­flich beset­zt, erstaunlicher­weise find­en sich im Ensem­ble echte Musik­er, her­aus­ra­gend als Instru­men­tal­ist ist dort vor allem Yor­ck Dippe, der die Baßk­lar­inette zusam­men mit dem kleinen, auf der Seit­en­bühne platzierten Orch­ester (Musikalis­che Leitung: Jörg Gol­lasch) vortr­e­f­flich zu trak­tieren weiß. Die Präsen­ta­tion von “Human Rights 4” ist in der Tat ein­drucksvoll bis hin zum Tri­an­gel­spiel eines Char­ly Hüb­n­er, erfüllt aber vor allem das Klis­chee von “Zeit­genös­sis­ch­er Musik”, der ja ohne­hin Kör­per­losigkeit und Kopflastigkeit angedichtet wird. Und klar ist auch der Name des Stück­es, selb­stver­ständlich beschäftigt sich diese Gesellschaft mit den großen The­men wie den Men­schen­recht­en.

Die kleinen Quere­len und Sinnsuchereien lassen einen bisweilen verzweifeln ob ihrer Belan­glosigkeit, ver­stärkt wird dieser Effekt natür­lich durch das beruf­s­mäßig-pro­fes­sionell gut gelaunte Bor­d­per­son­al – sowohl die physisch so geschmei­di­ge Großschaus­pielerin Lina Beck­mann, als auch ihr männlich­es Pen­dant Jan-Peter Kam­p­wirth als blondiert­er Chef­stew­ard schaf­fen hier ordentliche Fall­höhe. Das ist auf seine Art zwar unge­mein bösar­tig, aber in sein­er zuweilen komis­chen Verzwei­flung auf groteske Weise unter­halt­sam.

Die Bühne ist à la mode – kahl, ein großes, beweglich­es Ver­satzstück dient in sein­er regalar­ti­gen Struk­tur als Raster für die Kabi­ne­naufteilung des Schiffes, im Hin­ter­grund sieht man die heutzu­tage schon oblig­at­en Pro­jek­tio­nen, mal den qual­menden Schorn­stein eines Dampf­schiffes, mal abstrak­te Muster, zum Schluss eine ein­same Wasser­wüste. Im Wesentlichen spielt sich das Geschehen im vorderen Drit­tel der Bühne ab.

Bis zum Ein­drin­gen der Frem­den (Ibrahi­ma Sanogo, Michael Sen­gazi, Say­ou­ba Sigué – die auch im Stück ihre “natür­lichen” Namen tra­gen) – ist also alles hys­ter­isch nor­mal, man fühlt sich zwar unwohl in sein­er Welt, aber den­noch wird nichts wirk­lich in Frage gestellt. Die Reak­tion der beiset­zen­den Kreuz­fahrer auf die neuen “Gäste” und auch das Gezeigte fol­gt in logis­ch­er Kon­se­quenz der Erwartung. Ihre Bestä­ti­gung holen sie sich aus der Erwartung­shal­tung, die im Gegen­satz zu den Äng­sten liegt, die das plöt­zliche Ein­drin­gen, die Infek­tion – zu diesem Begriff gibt es einen klu­gen Text des Berlin­er Philosophen Byung-Chul Han im Pro­grammheft – mit dem Frem­den mit sich bringt. Man sieht diese Kon­fronta­tion näm­lich aus ein­er kom­plett ide­al­isierten Per­spek­tive, die das beste­hende Sys­tem nur bestäti­gen kann:

Der afrikanis­che Flüchtling tanzt gerne. Der afrikanis­che Flüchtling singt gerne. Der afrikanis­che Flüchtling trägt bunte Hosen. Der afrikanis­che Flüchtling hat einen trainierten Kör­p­er. Der afrikanis­che Flüchtling ist Akademik­er. Der afrikanis­che Flüchtling hört knall­harte Beats. Der afrikanis­che Flüchtling lässt sich nicht in ein­er Chore­o­gra­phie zwän­gen. Der afrikanis­che Flüchtling ist naturver­bun­den. Der afrikanis­che Flüchtling macht alles.

All das kann der Europäer nicht, der wün­scht sich immer nur “Faust” und führt ein unge­mein bewusstes Leben. Tiere isst er natür­lich auch nicht. Aber er bringt auf jeden Fall Deck­en – “Sie brauchen Deck­en.”, bringt Unmen­gen von Kaf­fee in Ther­moskan­nen, bringt Klei­der­berge. Man erwartet dafür die “Inte­gra­tion”, und wed­er Zuschauer noch Büh­nen­per­son­al wer­den ent­täuscht. Und schließlich führt all das zur Iden­ti­fika­tion mit dem ursprünglichen Aggres­sor, die Gren­zen ver­schwim­men, der Gast­ge­ber assim­i­liert sich, er tanzt mit den “edlen Wilden”, verklei­det sich in folk­loris­tis­chen Gewän­dern – denn als solche erfüllen die Flüch­linge die Sehn­süchte der als inhalt­los und unau­then­tisch wahrgenomme­nen west­lichen Welt.

»Schiff der Träume« von Karin Beier – ein Lehrstück
I’m easy assim­i­lat­ed (Bild: © Matthias Horn, 2015).

In ein­er lan­gen Pas­sage wird wird der afrikanis­che The­o­retik­er Achille Mbe­m­be an der Rampe ver­lesen, im Text – der selb­stver­ständlich eben­falls im Pro­grammheft abge­druckt wird – wird der Mythos ein­er natür­licheren, ursprünglicheren Lebenswelt her­auf­beschworen, was träfe den Nerv des ent­fremde­ten west­lichen Sinnsuch­ers eher, der schon in den 80er Jahren die “Weis­sa­gun­gen der Cree” an sein Auto pappte:

“Im alten Afri­ka war das man­i­feste Zeichen der Erschei­n­ung, welche die Men­schheit ist, das Samenko­rn, das man im Boden ver­gräbt, das stirbt, wiederge­boren wird und Bäume, Früchte, das Leben her­vor­bringt. Um die Ver­mäh­lung des Samenko­rns mit dem Leben zu feiern, erfan­den die alten Afrikan­er Sprechen und Sprache, Objek­te und Tech­niken, Zer­e­monien und Rit­uale, Kunst­werke wie auch soziale und poli­tis­che Insti­tu­tio­nen. Das Samenko­rn sollte das Leben in ein­er zer­brech­lichen und feind­seli­gen Umge­bung her­vor­brin­gen, in der die Men­schheit Arbeit und Muße find­en sollte, die sie aber auch schützen musste. (…) Die Natur ver­stand man als eigen­ständi­ge Kraft. Man kon­nte sie nur im Ein­klang mit ihr selb­st for­men, umgestal­ten und kon­trol­lieren. (…) Die Welt mit anderen Lebe­we­sen teilen, das war die Schuld par excel­lence.”

Das kann man alles für direkt wahrhaftig nehmen, so wie die spon­ta­nen Szene­nap­plaudier­er im Schaus­piel­haus, die offen­bar genau die moralis­che Stel­lung­nahme erwarten, die sie seit Friedrich Schiller gewohnt sind. Doch so ein­fach macht es sich die Insze­nierung nicht, denn der the­atralis­che Moment, das bloße Zeigen von Phänome­nen, ist ihr imma­nent: Die afrikanis­chen Flüchtlings­darsteller sind “echt”, rade­brechen zwis­chen englisch, franzö­sisch und deutsch herum, sie stellen dem Pub­likum Fra­gen, die gar nicht beant­wortet wer­den kön­nen und sind nicht nur in ihrer Rolle Inhab­er all jen­er Kar­dinal­tugen­den des Idealmi­granten, schließlich nehmen sie sog­ar an einem wes­teu­ropäis­chen The­ater­pro­jekt teil – wie sagt Stew­ardess Lina Beck­mann in der ins Show­pro­gramm einge­bun­de­nen Abmod­er­a­tion: “Und näch­ste Woche dann mit Ori­en­tal­en”. Sie sind sowohl eine auf der Bühne bed­ingt aus­tauschbare Vorstel­lung, eine Vision, als auch reale Per­so­n­en mit eben solchen Geschicht­en. Wir erin­nern uns – “du bist ein Schaus­piel­er” – es ist nicht alles immer echt im The­ater, und nicht immer ist die Botschaft ein­deutig. Denn die Insze­nierung bezieht hier nicht Stel­lung, sie ver­weist vor allem auf die Schwierigkeit­en in dieser soge­nan­nten Krise.

Die deutsche Bun­deskan­z­lerin, Angela Merkel, hat­te im Juni 2013 den viel und zu Unrecht kri­tisierten Begriff des “Neu­lands” geprägt, damals bezo­gen auf den Umgang mit dem Inter­net. Wie Recht sie damit hat­te, zeigt sich auch heute immer wieder in der Hil­flosigkeit, mit den Phänome­nen dieses Über­medi­ums umzuge­hen. Erst allmäh­lich und sehr, sehr schlep­pend entwick­elt sich eine Hal­tung zu all den Möglichkeit­en, die sich dort anbi­eten

Hier nun geht es der Gesellschaft ähn­lich, die Sit­u­a­tion, auf andere Kul­turen im eige­nen Land einge­hen zu müssen, ist für die aktuelle Gen­er­a­tion neu. Die eilig und vor allem laut­stark her­beigerufe­nen Antworten auf die als drän­gend emp­fun­de­nen gesellschaftlichen Fragestel­lun­gen sind ver­mut­lich keine Lösun­gen für die Ewigkeit. Man kön­nte all diese Reak­tio­nen es als eine Art nationales Bor­der­line-Phänomen ver­ste­hen, ähn­lich wie bei dieser Form der Per­sön­lichkeitsstörung wird auf uner­wartete Kon­flik­t­si­t­u­a­tio­nen mit extremen Reak­tio­nen geant­wortet.

Hier, im The­ater der Karin Beier, hier ist es eben­falls ein neues Land, das ent­deckt wer­den muss, in all seinen Facetten, sowohl im Guten wie im Schlecht­en. Es sind viele Fra­gen offen, die nicht sofort beant­wortet wer­den kön­nen. Und da taucht sie doch wieder auf, die moralis­che Anstalt The­ater, anders zwar als von Schiller intendiert, aber doch präsent. Denn sie ver­weist nun vor allem auf die moralis­che Unein­deutigkeit der Sit­u­a­tion und nicht auf das ein­deutige Schiller’sche “Licht der Weisheit”, das auf das Volk “herun­ter­strömt”. Ob die Insze­nierung wirk­lich wegen dieser Ambivalen­zen als eine der Insze­nierun­gen des Jahres zum Berlin­er The­atertr­e­f­fen ein­ge­laden wurde?

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