Die Viererbande

Ab dem 25. Mai findet das internationale Festival »Theater der Welt« in Hamburg statt. Ein Gespräch mit dem Kuratorium.

Theater der Welt
Ein Kessel Buntes (Bild: Theater der Welt/Keyvisual)

Seit dem 25. Mai fin­det in Ham­burg – nun­mehr zum zwei­ten Mal seit 1989 – das gro­ße inter­na­tio­na­le Fes­ti­val »Thea­ter der Welt« statt. Aus der Tau­fe geho­ben hat es Anfang der acht­zi­ger Jah­re die Ham­bur­ger Thea­ter­iko­ne Ivan Nagel, seit­dem fin­det das Fes­ti­val alle zwei bis drei Jah­re in einer ande­ren deut­schen Stadt sein Zuhau­se. Zuletzt gab es »Thea­ter der Welt« in Mann­heim 2014, unter der künst­le­ri­schen Lei­tung von Mat­thi­as Lili­en­thal. Bei der dies­jäh­ri­gen 14. Auf­la­ge zeich­net ein gan­zes Kura­to­ri­um für das Pro­gramm ver­ant­wort­lich: Die Inten­dan­ten von Kamp­na­gel und Tha­lia-Thea­ter, Ame­lie Deufl­hard und Joa­chim Lux, sowie die Dra­ma­tur­gen San­dra Küp­per und András Sie­bold aus eben die­sen Häu­sern. Wir tra­fen die »Vie­rer­ban­de«, wie sie sich selbst gern bezeich­net, zu einem lan­gen Inter­view im Vor­feld des Fes­ti­vals. Der hier ver­öf­fent­lich­te Teil des Gesprächs beschäf­tigt sich vor­wie­gend mit den Hin­ter­grün­den und der pro­gram­ma­ti­schen Aus­rich­tung von »Thea­ter der Welt«. Wei­te­re und aus­führ­li­che Details zum Pro­gramm kön­nen Sie in einer Inter­view-Fas­sung in der Online-Aus­ga­be der Zeit­schrift »Thea­ter der Zeit« nach­le­sen, für die unse­re Autorin Nata­lie Fin­ger­hut zeichnet. 

hhf  Wenn bei so einem Fes­ti­val wie »Thea­ter der Welt« aus so vie­len Ecken und Enden des Glo­bus Thea­ter­men­schen zusam­men­kom­men, gibt es eine Gemein­sam­keit, in der sich alle ver­ste­hen? Gibt es eine uni­ver­sel­le Theatersprache?

Joa­chim Lux Natür­lich gibt es Auf­füh­run­gen, die uni­ver­sell ver­stan­den wer­den. Tanz­thea­ter gehört dazu, Peter Brook-Insze­nie­run­gen, man­ches ande­re. Trotz­dem gibt es kei­ne uni­ver­sel­le Thea­ter­spra­che oder das Thea­ter-Espe­ran­to »Deng­lish«. Ich glau­be, es ist geht im Moment eher umge­kehrt dar­um, dass man Neu­gier­de auf die Unter­schie­de und das Anders­ar­ti­ge hat, sich dafür inter­es­siert, wie man bei­spiels­wei­se in Chi­na Thea­ter macht, oder in Aus­tra­li­en oder Südamerika..

San­dra Küp­per Das sieht man auch im Pro­gramm, die Viel­falt der thea­tra­len Mit­tel und For­men und auch die Viel­falt der Geschich­ten, die erzählt werden.

András Sie­bold Wobei man ehr­li­cher­wei­se sagen muss, das all die­se Sachen, die wir hier zei­gen, in einer gewis­sen Wei­se für unser Publi­kum les­bar sind. Oft haben wir als Kura­to­ren das Pro­blem, dass wir eine Auf­füh­rung sehen, die nur in einem bestimm­ten Kon­text funk­tio­niert, also in einem bestimm­ten Land. Oder dass sich eine Insze­nie­rung nur über die Situa­ti­on ver­mit­telt, über eine bestimm­te Situa­ti­on vor Ort. Das könn­te man dann hier­zu­lan­de erzäh­le­risch gar nicht trans­por­tie­ren. Es pas­siert immer wie­der, dass man sagt: Die Arbeit ist hier in ihrer Ver­or­tung total rich­tig und gut, aber wenn man dem Publi­kum nicht die Erfah­rung bie­ten kann, das gan­ze Drum­her­um, den Kon­text der Geschich­te vor Ort, dann bringt das eigent­lich nichts. Dann reißt man sie raus. Das ist mir übri­gens auch immer mal wie­der bei ande­ren Fes­ti­vals auf­ge­fal­len, dass Kura­to­ren Arbei­ten ein­ge­la­den, sie so ihres Kon­texts beraubt haben und die Stü­cke dadurch nicht mehr funk­tio­niert haben. Bei Thea­ter der Welt haben wir uns bemüht, ein ein Pro­gramm zusam­men­zu­stel­len, das in die­sem Sin­ne so uni­ver­sal ist, dass es auch hier in Ham­burg funktioniert.

Ame­lie Deufl­hard Gleich­zei­tig muss man aber auch sagen, dass heu­te die Kul­tu­ren längst nicht mehr so getrennt sind wie vor 100 Jah­ren. Wenn wir nach West­afri­ka flie­gen, dann trifft man einen Künst­ler in sei­nem Stu­dio, der natür­lich ame­ri­ka­ni­sche Pop­mu­sik hört und nicht nur tra­di­tio­nel­le west­afri­ka­ni­sche Musik. Das­sel­be in Chi­na oder im ara­bi­schen Raum und welt­weit. Alle kom­mu­ni­zie­ren über Face­book, frü­her muss­te man irgend­wo hin­fah­ren, heu­te kön­nen wir mit Künst­lern pro­blem­los sky­pen, egal auf wel­chem Kon­ti­nent. Man muss nur gucken, dass man eine Zeit fin­det, wo bei­de gera­de wach sind – trotz Zeit­ver­schie­bung. Natür­lich hat jede Kul­tur ihr eigen­stän­di­ges Erbe, das in vie­len der Arbei­ten auf­taucht, aber heu­te gibt es kei­ne strik­te Tren­nung mehr, son­dern auch viel Durch­mi­schung, die eine glo­bal und medi­al ver­netz­ten Gesell­schaft mit sich bringt.

Theater der Welt
Tha­lia-Inten­dant Joa­chim Lux: »Es geht also eher um ein Inter­es­se für die Anders­ar­tig­keit und nicht um ein Thea­ter­e­s­pe­ran­to.« (Bild: kms | hhf)

Joa­chim Lux Durch­mi­schung und Par­al­lel­ent­wick­lung, wür­de ich sagen. Ich war in Chi­na, da habe ich eine Auf­füh­rung gese­hen, die sich auf Ilya Kaba­kow bezieht und an Susan­ne Ken­ne­dy erin­nert. Und natür­lich habe ich mich gefragt, ob die Chi­ne­sen ihre Tech­nik von copy and pas­te jetzt auch aufs Thea­ter anwen­den (lacht) oder ob es sich um welt­weit par­al­le­le und unab­hän­gi­ge Ent­wick­lun­gen handelt?

hhf Gibt es denn so etwas wie eine inter­na­tio­na­le Com­mu­ni­ty? Gucken die auf­ein­an­der – und die dar­an anschlie­ßen­de Fra­ge wäre, inwie­weit denkt man, dass die­se Grup­pen, wenn sie hier in Ham­burg zusam­men­kom­men, sich gegen­sei­tig beäu­gen? Ist das beim Fes­ti­val geplant, gibt es ein Forum vor Ort, ein Get-tog­e­ther, etwas wie: Grup­pe »Dubai besucht Grup­pe New York«?

San­dra Küp­per Natür­lich, das ist schon der Ver­such, aber erzwin­gen kann man es nicht.

hhf Ja, war­um auch nicht? Ich ken­ne das von ande­ren Fes­ti­vals, wo die Teil­neh­mer sich gegen­sei­tig zuhö­ren, und den­ken: Ja span­nend, der inter­es­siert mich. Gibt es da ein Forum?

András Sie­bold Es gibt da lei­der zwei Sei­ten, die eine ist die Rea­li­tät, und die ande­re das Ide­al, was man hat. Und natür­lich sieht das Ide­al so aus, dass die Künst­ler, die hier von weit­her hin­kom­men, sich auch mög­lichst viel angu­cken kön­nen. Das funk­tio­niert aber in der Rea­li­tät meis­tens nicht so, wie man sich das vor­stellt, weil sie oft rela­tiv kurz vor Ort sind, allein schon aus öko­no­mi­schen Grün­den. Wir kön­nen es uns nicht leis­ten, sie für drei Wochen ein­zu­la­den. Manch­mal ergibt es sich aber, dann pro­ben sie schon vor­her hier und haben abends Zeit, sich etwas von den ande­ren Künst­lern anzu­se­hen. Oft ist es aber lei­der so, dass sie nach ihren eige­nen Auf­füh­run­gen nichts mehr angu­cken kön­nen, weil es ein­fach zeit­lich nicht mög­lich ist. Wir haben das Pro­gramm zwar schon extra so dis­po­niert, dass man meh­re­re Sachen an einem Abend sehen kann, aber in der Pra­xis funk­tio­niert das lei­der oft nicht. Ande­rer­seits ver­su­chen wir, alle irgend­wo zusam­men­zu­brin­gen. Des­we­gen gibt es Haven, das Fes­ti­val-Zen­trum im Hafen, und wir hof­fen, dass der Aus­tausch dort viel­leicht über das »wir gucken uns die Arbei­ten der ande­ren an« hin­aus­geht, und Künst­ler und Inter­es­sier­te dort ins Gespräch kommen

San­dra Küp­per Zudem gibt es noch ein paar Begeg­nungs­for­ma­te, wo Künst­ler, die zu glei­chen Zei­ten da sind und an ähn­li­chen The­men arbei­ten, sich zum Talk im Haven tref­fen kön­nen. Gera­de sind wir noch dabei zu schau­en, wer an wel­chem Tag tat­säch­lich vor Ort ist, und wel­che Kon­stel­la­tio­nen pas­sen könn­ten. Und es gibt das Haus von Fer­nan­do Rubio mit der dura­tio­nal per­for­mance THE TIME BETWEEN US, das er am Baa­ken­ha­fen auf­baut, und so kon­zi­piert, dass er dort­hin ande­re Künst­ler mit ein­lädt, sich über ähn­li­che Erfah­run­gen des Zu-Hau­se-Seins auszutauschen.

Ame­lie Deufl­hard Geich­zei­tig gibt’s eine gro­ße inter­na­tio­na­le Com­mu­ni­ty sowohl von Kura­to­rin­nen und Kura­to­ren als auch von rei­sen­den oder viel ein­ge­la­de­nen Künst­lern, die sich so ein Pro­gramm dann auch angu­cken und über­le­gen, ob das inter­es­sant ist. So ist es auch für Künst­le­rin­nen und Künst­ler inter­es­sant, in einem span­nen­den Pro­gramm auf­zu­tre­ten, das Ver­bin­dun­gen zu ande­ren Kol­le­gen mit sich bringt. Wir befin­den uns natür­lich auch in einem inter­na­tio­na­len Kon­kur­renz­ver­hält­nis zu einem gro­ßen Fes­ti­val, das ist voll­kom­men klar.

hhf Kon­kur­renz­ver­hält­nis ist ein Stich­wort – ist das auch eine Leis­tungs­schau des­sen, was hier statt­fin­det, in dem man auch eige­ne Pro­duk­tio­nen ins Fes­ti­val bringt, um zu sagen, ok, wir machen es hier so. Setzt man sich in den Vergleich?

Joa­chim Lux Das schon – aber Thea­ter der Welt ist nicht ein inter­na­tio­na­li­sier­tes Ber­li­ner Theatertreffen …

Theater der Welt
Kamp­na­gel-Inten­dan­tin Ame­lie Deufl­hard: »Avant­gar­de ist ein pro­ble­ma­ti­scher Begriff, weil der so euro­zen­trisch ist.« (Bild: kms | hhf)

San­dra Küp­per Nein, es ist ein the­ma­ti­scher Ver­gleich, die Öff­nung von Perspektiven …

Joa­chim Lux … wir sind nicht her­um­ge­fah­ren, um die bes­ten Pro­duk­tio­nen der gan­zen Welt zu sich­ten, das ist nicht das Ziel des Fes­ti­vals. Natür­lich will ein Fes­ti­val gute Arbei­ten zei­gen. Aber es geht auch dar­um, wie die Pro­duk­tio­nen mit­ein­an­der kor­re­spon­die­ren. Und ob sie für ein Land spre­chen. Der Titel Thea­ter der Welt for­mu­liert einen nicht ganz unbe­schei­de­nen Anspruch. Aber er setzt auf die Neu­gier am ande­ren und nicht nur auf high end Produktionen.

hhf Wäre es ver­mes­sen, zu sagen, es ist ein Blick auf das Welt­spek­trum des Thea­ters, wir haben wirk­lich ver­sucht, aus allen Ecken der Welt das, was gera­de an zeit­ge­nös­si­schem Thea­ter pas­siert, zusammenzukratzen …?

Joa­chim Lux Zusam­men­krat­zen klingt wie fast ver­geb­li­che Fleißarbeit.

hhf Es geht nicht um Voll­stän­dig­keit, aber da ist schon der Ver­such, sich mög­lichst breit umzuschauen?

András Sie­bold Das ist der Ver­such, wobei uns von vorn­her­ein klar war, dass die­ser immer zum Schei­tern ver­ur­teilt ist, weil man gar nicht aus allen Ecken der Welt Sachen prä­sen­tie­ren kann. Das ist immer nur eine ganz klei­ne Aus­wahl, wobei wir immer­hin alle Kon­ti­nen­te abdecken.

Joa­chim Lux Es ist alles ver­tre­ten, Nord­ame­ri­ka, Süd­ame­ri­ka, Afri­ka, Naher und Mitt­le­rer Osten, Asi­en, Aus­tra­li­en … Euro­pa kommt fast ein biss­chen stief­müt­ter­lich vor.

András Sie­bold Indi­en fehlt.

San­dra Küp­per Wenn wir die ein­zel­nen Län­der durch­ge­hen, feh­len so eini­ge. (lacht)

hhf Im Vor­ge­spräch fiel der Begriff der »Avant­gar­de« und der »Moder­ne«. Inwie­weit ist das unter die­sem Focus zu betrach­ten? Ist die­se Art, das zu kura­tie­ren, ein Griff in das Thea­ter­ver­ständ­nis einer klas­si­schen Moder­ne, die von Avant­gar­de spricht?

Ame­lie Deufl­hard Wir haben uns irgend­wann ange­wöhnt, »Avant­gar­de« wie­der zu benut­zen, weil alle Thea­ter in Deutsch­land sagen, sie sei­en zeit­ge­nös­sisch und wir kei­ne Dif­fe­renz­mit­tel mehr gefun­den haben. Aber eigent­lich ist Avant­gar­de ein pro­ble­ma­ti­scher Begriff, weil der so euro­zen­trisch ist, und wir haben tat­säch­lich ver­sucht mit die­sem Fes­ti­val an vie­len Ecken und Enden den euro­zen­tri­schen Blick auf­zu­lö­sen. Wir machen zum Bei­spiel über 18 Tage einen Midd­le East Pop Up Club – so ähn­lich wie ein Nacht­club in Damas­kus – mit vie­len Kon­zer­ten usw. Hier wird die Kunst aus dem Nahen und Mitt­le­ren Osten durch das Musik­pro­gramm ver­stärkt. Natür­lich haben wir ver­sucht, inter­es­san­te Thea­ter­for­men zu fin­den, aber ich glau­be, das kann man mit Begrif­fen wie »klas­si­scher Moder­ne« oder »Avant­gar­de« gar nicht wirk­lich fas­sen, da unser Pro­gramm alle Kon­ti­nen­te umfasst und all die­se Begrif­fe in Euro­pa ent­stan­den sind.

hhf Was ist der Blick nach vor­ne dabei? Avant-gar­de im Wort­sin­ne, als Visi­on des Voranschreitens?

Ame­lie Deufl­hard Für mich ist der Blick nach vor­ne ein­deu­tig der inter­na­tio­na­le in die glo­ba­li­sier­te Welt, auch ein kri­ti­scher Blick auf Künst­ler­po­si­tio­nen von ande­ren Kon­ti­nen­ten oder ein selbst­be­wuss­ter Blick von ande­ren Kon­ti­nen­ten aus auf Euro­pa. Wenn man jetzt mal sagt, das deut­sche Stadt­thea­ter hat sich ursprüng­lich immer nur mit euro­päi­schen Sachen beschäf­tigt, ist das in einer glo­ba­li­sier­ten Welt doch gar nicht mehr mög­lich. »Avant­gar­de« heißt also den Blick auch aus der Kunst her­aus zu öff­nen und uns auch mit dis­kur­si­ven Posi­tio­nen in unse­rer Hal­tung als Euro­pä­er zu hin­ter­fra­gen, die wir doch sehr domi­nant auf die Welt blicken.

Joa­chim Lux Ich kann mit dem bBe­griff »Avant­gar­de« nichts mehr anfan­gen. Er stammt aus der Epo­che der Moder­ne. Wir erle­ben heu­te eine Ver­mi­schung von Gen­res und Kunst­gat­tun­gen, das ist inter­es­sant. Und schließ­lich: wir wol­len unter ande­rem auch ein Publi­kums­fes­ti­val machen.

Ame­lie Deufl­hard (lacht)

hhf Gibt es eine Visi­on eines glo­ba­li­sier­ten Thea­ters? Eines Universaltheaters?

Ame­lie Deufl­hard Den Begriff Uni­ver­sal­thea­ter wür­den wir eher nicht bean­spru­chen wol­len. Denn es geht uns ja ganz stark um Diver­si­tät und um unter­schied­li­che Sicht­wei­sen, unter­schied­li­che Fra­ge­stel­lun­gen, manch­mal viel­leicht auch um Ant­wor­ten. Aber das Uni­ver­sel­le, das sagt, wir kön­nen alles erklä­ren, ist genau der Blick, den inter­es­san­te Künst­ler und Den­ker eben nicht haben.

Joa­chim Lux Thea­ter ist über­all auf der Welt zual­ler­erst eine loka­le Ange­le­gen­heit. Sie ent­steht aus der eige­nen Tra­di­ti­on, aus dem eige­nen Selbst­be­wusst­sein, aus der eige­nen Posi­ti­on zu dem Kul­tur­raum und dem Land, in dem man lebt. Und das ist auch gut so. Manch­mal ent­steht dar­aus Welt­thea­ter. Dann näm­lich, wenn eine bestimm­te Ebe­ne der Abs­trak­ti­on oder der über­ge­ord­ne­ten Ver­ständ­lich­keit erreicht wird, wo der Zuschau­er nicht vor einer völ­lig frem­den Welt sitzt, zu der ihm der Zugang völ­lig ver­wehrt ist, son­dern ihn die Büh­nen­spra­che trotz aller Fremd­heit anspricht. Dann ent­steht Kom­mu­ni­ka­ti­on statt eth­no­lo­gi­sches Muse­um oder Abnormitätenkabinett.

Manch­mal ent­ste­hen auf dem Welt­markt Pro­duk­tio­nen, deren Kal­kül von vorn­her­ein auf Abs­trak­ti­on, auf Markt geht und das Loka­le eli­mi­nie­ren – um die­se Art von Glo­ba­li­sie­rung soll­te es nicht gehen. Man soll­te sich die Neu­gier­de auf ande­re Men­schen, Kul­tu­ren und Kunst­for­men erhal­ten. Dazu gehört auch, den eige­nen euro­zen­tris­ti­schen Blick und sei­ne Stan­dards hin­ter sich zu las­sen. Das ist aber leich­ter gesagt als getan. Da ist noch viel Luft nach oben.

hhf Die Fra­ge ist ja, wie kommt man an das Publi­kum ran in einer Zeit, wo die Dis­kus­si­on um Diver­si­tät in Kul­tu­ren und Anders­ar­tig­kei­ten so heiß dis­ku­tiert wird? Wer geht da hin? Das Abo­pu­bli­kum des Tha­li­as oder das Kamp­na­gel­pu­bli­kum, das jün­ger ist, reicht wahr­schein­lich nicht aus, um so ein Fes­ti­val zu fül­len. Wie möch­ten Sie neu­es Publi­kum erreichen?

Joa­chim Lux Ich glau­be, dass die Zusam­men­ar­beit von Tha­lia und Kamp­na­gel die Chan­ce zu einer Erwei­te­rung des Publi­kums ist. Auch die Zusam­men­ar­beit mit ande­ren loka­len Play­ern wie St. Pau­li-Thea­ter oder sogar Ohn­sorg. Hin­zu kommt eine weit­läu­fig ent­wi­ckel­te Musik­schie­ne vom Ensem­ble Reso­nanz bis zur Welt­mu­sik mit ihren Com­mu­ni­ties. Unse­rer Erfah­rung nach inter­es­sie­ren sich auch die inter­na­tio­na­len Com­mu­ni­ties in unse­rem Land, z. B. wenn auf Kamp­na­gel eine syri­sche Pop­künst­le­rin auf­tritt oder im Tha­lia Chi­na zu Gast kommt, dann spricht sich das in Win­des­ei­le rum. Die Chi­ne­sen rei­sen dann z.B. aus ganz Deutsch­land an.

Theater der Welt
Kamp­na­gel-Dra­ma­turg András Sie­bold: »So ein Fes­ti­val ist auch immer in der Stadt für die Leu­te, die viel­leicht nicht hin­ge­hen.« (Bild: kms | hhf)

hhf Gibt es einen päd­ago­gi­schen Impe­tus, zu sagen, jetzt ver­su­chen wir mal den blau­en Bla­zer­trä­ger mit der roten Hose zu kriegen?

András Sie­bold Das inter­es­san­te ist ja, dass die blau­en Bla­zer­trä­ger mit der roten Hose, sich ja bei sowas total ger­ne mit­rei­ßen las­sen. Das ist ja das Tol­le in Ham­burg, wenn so ein Fes­ti­val erst­mal Stadt­ge­spräch wird. Das Ding ist schon total los­ge­gan­gen. Es war wahr­schein­lich die größ­te Pres­se­kon­fe­renz, die sowohl das Tha­lia als auch Kamp­na­gel je gemacht hat, weil die­se Syn­er­gie von Anfang an schon gut funk­tio­nier­te. Und im Moment deu­tet alles dar­auf hin, dass die­ses Fes­ti­val eine gro­ße Sicht­bar­keit in der Stadt haben wird, und ich glau­be, ich glau­be, vie­le Besu­cher wer­den kom­men, auch wenn sie die Namen oder Titel nicht ken­nen. Die dann ein­fach sagen, weißt du was, ich kenn da die drei Leu­te, die gehen da auch hin, lass doch mal gucken. So ein Fes­ti­val ist ja auch immer in der Stadt für die Leu­te, die viel­leicht nicht hin­ge­hen. Es ist ein State­ment, das du abgibst mit so einem Fes­ti­val, das auch für AfD-Wäh­ler nicht unin­ter­es­sant ist. Weil die auch sehen, dass eine Stadt sich mit so einem Fes­ti­val posi­tio­niert. Das wird vom Außen­mi­nis­ter eröff­net, der auch das Vor­wort im Pro­gramm geschrie­ben hat, da steht eine brei­te Stadt- und sogar Lan­des­ge­sell­schaft dahin­ter, die so ein Fes­ti­val trägt. Dazu kommt, das, was Ame­lie mein­te: Die Aus­sa­ge der Diver­si­tät und der kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit sich selbst, die so ein Fes­ti­val auf den Fah­nen trägt, die erreicht natür­lich auch Leu­te, die viel­leicht nicht hin­ge­hen. Die den­ken dann trotz­dem mal drü­ber nach, dass sie in einer Gesell­schaft leben, wo ihre Hal­tung viel­leicht nicht von allen getra­gen wird. Die Aus­ein­an­der­set­zung schafft so ein Fes­ti­val dann schon

Joa­chim Lux Da ist geleb­te Viel­falt und geleb­te Offenheit…

Ame­lie Deufl­hard … die ja auch hier in Ham­burg vor­kommt. Wir haben ja eine gro­ße Anzahl an Ein­wan­de­rern aus allen Län­dern hier in der Stadt. Es ist natür­lich ein wirk­li­ches Ziel, dass wir es schaf­fen, die Com­mu­ni­ties zu ver­bin­den, dass dann, wenn wir ein Stück aus Syri­en zei­gen, dann auch syri­sche Ein­wan­de­rer hier sind …

András Sie­bold … oder aus Nord­afri­ka auch … wir spre­chen die Leu­te an mit die­sen The­men, das ist nicht nur ein Fes­ti­val für die eben die Blazerträger.

Joa­chim Lux Des­we­gen ist es umso wich­ti­ger, dass das Fes­ti­val in die Brei­te geht und nicht nur für Spe­zia­lis­ten gemacht wird. Man hät­te natür­lich auch eine Kunst­mes­se für Spe­zia­lis­ten machen kön­nen, klar. Aber das war nicht der Ansatz. Wir woll­ten ver­ständ­lich blei­ben, anschluss­fä­hig. Das schließt die Prä­sen­ta­ti­on von Pro­gram­men, die her­aus­for­dern, ja nicht aus.

András Sie­bold Das stimmt, wobei ich da auch immer ergän­zen wür­de: Die Sachen, die wir hier drin haben, gera­de aus den Maghreb-Staa­ten, die zei­gen auch, dass Avant­gar­de ein Begriff ist, der da genau­so eine Rol­le spielt wie hier. Wir haben ja ganz vie­le Sachen ein­ge­la­den, die eigent­lich echt auf der Höhe der Zeit sind. Das sind Pro­duk­tio­nen, die eben nicht dem Kli­schee von exo­ti­schem Thea­ter ent­spre­chen. Das sind alles auch Leu­te, die mit dem Inter­net zu tun haben, die genau so die glo­ba­len Sounds mit­be­kom­men wie ande­re auch.

Tha­lia-Dra­ma­tur­gin San­dra Küp­per »Wenn wir die Län­der durch­ge­hen, feh­len so eini­ge …« (Bild: kms | hhf)

Joa­chim Lux Wir haben aus Chi­na mit Absicht nicht die Peking Oper ein­ge­la­den. Genau das woll­ten wir nicht.

hhf Zum Schluss – die Gret­chen­fra­ge, die schon bei der aller­ers­ten Pres­se­kon­fe­renz im Juni 2015 auf­ge­fal­len ist: Wo ist das Schauspielhaus?

Joa­chim Lux Das müs­sen sie die vom Schau­spiel­haus fra­gen. Also – die waren ein­ge­la­den, mit­zu­ma­chen, haben sich aber dage­gen entschieden …

hhf In die­ser Pres­se­kon­fe­renz hieß es noch, es sei eine Koope­ra­ti­on geplant, jetzt im Pro­gramm sieht man nicht mal mehr das Logo?

Ame­lie Deufl­hard Weil sie tat­säch­lich nicht dabei sind.

András Sie­bold Man kann auch sagen, wir hät­ten sie ger­ne dabei gehabt. Das ist nicht so, dass wir die Ent­schei­dung getrof­fen haben. Wir haben mit denen gere­det, wie mit allen ande­ren auch. Am Schluss war es ein­fach eine Ent­schei­dung des Schau­spiel­hau­ses, sich auf ihr eige­nes Pro­gramm zu konzentrieren

hhf Gab es eine offi­zi­el­le Begründung?

András Sie­bold Wir sehen die doch die gan­ze Zeit. Es gab weder Streit noch sonst was. Wir sind ja schon vier Köp­fe in den Sit­zun­gen, viel­leicht hat sich das Schau­spiel­haus gesagt, komm, wir haben so viel zu tun, wir wer­den unser Ding da machen. Es gab kei­ne offi­zi­el­le Begrün­dung, son­dern es war eher so, dass man irgend­wann gesagt hat: Ok, komm, macht ihr mal und wir kon­zen­trie­ren uns auf unser Ding. Aber ohne irgend­wel­chen bösen Absich­ten oder Streit oder sonst was

hhf Es ist schon ein biss­chen ver­wun­der­lich gewe­sen, weil das Fes­ti­val sei­ner­zeit von Frau Kis­se­ler als ein Leucht­turm­pro­jekt für Ham­burg dar­ge­stellt wur­de – was es ja auch ist – und dann hat man eines der ganz gro­ßen Häu­ser nicht mit im Boot?

András Sie­bold Auch mit der Oper haben wir am Anfang viel mehr gedacht, dass wir etwas zusam­men machen. Das hat­te da aber struk­tu­rel­le Grün­de, weil die in ihren Pla­nun­gen viel wei­ter vor­aus waren. Sie haben uns jetzt noch sehr unter­stützt mit Musi­kern, aber die hat­ten eben eine ande­re Zeit­pla­nung, das hat dann nicht funktioniert

Joa­chim Lux Da war sogar mal eine gan­ze Pro­duk­ti­on mit der Staats­oper geplant. Beim Schau­spiel­haus gibt es ver­mut­lich eine ande­re Geschäfts­po­li­tik. Die koope­rie­ren auch sonst nicht viel, son­dern ent­wi­ckeln ihr Pro­fil eher aus der Abgren­zung. Aber das sind Mut­ma­ßun­gen, das müs­sen sie tat­säch­lich dort erfragen.

[drops­ha­dow­box align=»none« effect=»lifted-both« width=«« height=«« background_color=«#efeeee« border_width=»1« border_color=«#dddddd« rounded_corners=»false« inside_shadow=»true« outside_shadow=»false« ]UND WO IST DAS SCHAUSPIELHAUS?

Wir haben Karin Bei­er, die Inten­dan­tin des Deut­schen Schau­spiel­hau­ses in Ham­burg, um eine Dar­le­gung ihres Stand­punk­tes zur feh­len­den Betei­li­gung des Hau­ses beim Fes­ti­val ›Thea­ter der Welt‹ gebe­ten – hier ihre Antwort:

»So ein gro­ßes Fes­ti­val hat einen gro­ßen Vor­lauf: Als die Pla­nun­gen für Thea­ter der Welt began­nen, hat­ten wir unser ers­tes Jahr in Ham­burg gera­de hin­ter uns. Das war bekannt­lich ein kata­stro­phal anstren­gen­des Jahr, da sich der Eiser­ne Vor­hang selbst­stän­dig mach­te, unse­re gesam­te Dis­po­si­ti­on außer Kraft setz­te und wir den­noch in der Hälf­te der Zeit alle geplan­ten Pre­mie­ren her­aus­ge­bracht haben.

Nach die­sem anstren­gen­den Start­jahr, das einer län­ge­ren Bau­pha­se und damit eben­falls einem Aus­nah­me­zu­stand folg­te, war erst ein­mal eine Kon­so­li­die­rung des Hau­ses not­wen­dig. Des­halb habe ich in Abspra­che mit mei­nen Mit­ar­bei­tern beschlos­sen, alle Kräf­te zu bün­deln, um den nor­ma­len Spiel­be­trieb im Schau­spiel­haus voranzubringen.

Das hat sich m. E. auch aus­ge­zahlt. Im Übri­gen haben wir dem Fes­ti­val bzw. der Fes­ti­val­lei­tung im orga­ni­sa­to­ri­schen Sin­ne – also, was Spiel­stät­ten und ähn­li­ches anbe­langt – immer Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft signa­li­siert.«[/​dropshadowbox]

Das Gespräch mit dem Kura­to­ri­um fand am 4. April 2017 im Inten­dan­ten­bü­ro des Ham­bur­ger Tha­lia-Thea­ters statt. Das Pro­gramm des Fes­ti­vals »Thea­ter der Welt« fin­den Sie hier, dort las­sen sich auch Tickets für die ein­zel­nen Ver­an­stal­tun­gen buchen.

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