Die Viererbande

Ab dem 25. Mai findet das internationale Festival »Theater der Welt« in Hamburg statt. Ein Gespräch mit dem Kuratorium.

Theater der Welt
Ein Kessel Buntes (Bild: Theater der Welt/Keyvisual)

Seit dem 25. Mai find­et in Ham­burg – nun­mehr  zum zweit­en Mal seit 1989 – das große inter­na­tionale Fes­ti­val »The­ater der Welt« statt. Aus der Taufe gehoben hat es Anfang der achtziger Jahre die Ham­burg­er The­aterikone Ivan Nagel, seit­dem find­et das Fes­ti­val alle zwei bis drei Jahre in ein­er anderen deutschen Stadt sein Zuhause. Zulet­zt gab es »The­ater der Welt« in Mannheim 2014, unter der kün­st­lerischen Leitung von Matthias Lilien­thal. Bei der diesjähri­gen 14. Auflage zeich­net ein ganzes Kura­to­ri­um für das Pro­gramm ver­ant­wortlich: Die Inten­dan­ten von Kamp­nagel und Thalia-The­ater, Amelie Deu­fl­hard und Joachim Lux, sowie die Dra­matur­gen San­dra Küp­per und András Siebold aus eben diesen Häusern. Wir trafen die »Viererbande«, wie sie sich selb­st gern beze­ich­net, zu einem lan­gen Inter­view im Vor­feld des Fes­ti­vals. Der hier veröf­fentlichte Teil des Gesprächs beschäftigt sich vor­wiegend mit den Hin­ter­grün­den und der pro­gram­ma­tis­chen Aus­rich­tung von »The­ater der Welt«. Weit­ere und aus­führliche Details zum Pro­gramm kön­nen Sie in ein­er Inter­view-Fas­sung in der Online-Aus­gabe der Zeitschrift »The­ater der Zeit« nach­le­sen, für die unsere Autorin Natal­ie Fin­ger­hut zeich­net. 

hhf  Wenn bei so einem Fes­ti­val wie »The­ater der Welt« aus so vie­len Eck­en und Enden des Globus The­ater­men­schen zusam­menkom­men, gibt es eine Gemein­samkeit, in der sich alle ver­ste­hen? Gibt es eine uni­verselle The­ater­sprache?

Joachim Lux Natür­lich gibt es Auf­führun­gen, die uni­versell ver­standen wer­den. Tanzthe­ater gehört dazu, Peter Brook-Insze­nierun­gen, manch­es andere. Trotz­dem gibt es keine uni­verselle The­ater­sprache oder das The­ater-Esperan­to “Deng­lish”. Ich glaube, es ist geht im Moment eher umgekehrt darum, dass man Neugierde auf die Unter­schiede und das Ander­sar­tige hat, sich dafür inter­essiert, wie man beispiel­sweise in Chi­na The­ater macht, oder in Aus­tralien oder Südameri­ka..

San­dra Küp­per Das sieht man auch im Pro­gramm, die Vielfalt der the­atralen Mit­tel und For­men und auch die Vielfalt der Geschicht­en, die erzählt wer­den.

András Siebold Wobei man ehrlicher­weise sagen muss, das all diese Sachen, die wir hier zeigen, in ein­er gewis­sen Weise für unser Pub­likum les­bar sind. Oft haben wir als Kura­toren das Prob­lem, dass wir eine Auf­führung sehen, die nur in einem bes­timmten Kon­text funk­tion­iert, also in einem bes­timmten Land. Oder dass sich eine Insze­nierung nur über die Sit­u­a­tion ver­mit­telt, über eine bes­timmte Sit­u­a­tion vor Ort. Das kön­nte man dann hierzu­lande erzäh­lerisch gar nicht trans­portieren. Es passiert immer wieder, dass man sagt: Die Arbeit ist hier in ihrer Veror­tung total richtig und gut, aber wenn man dem Pub­likum nicht die Erfahrung bieten kann, das ganze Drumherum, den Kon­text der Geschichte vor Ort, dann bringt das eigentlich nichts. Dann reißt man sie raus. Das ist mir übri­gens auch immer mal wieder bei anderen Fes­ti­vals aufge­fall­en, dass Kura­toren Arbeit­en ein­ge­laden, sie so ihres Kon­texts beraubt haben und die Stücke dadurch nicht mehr funk­tion­iert haben. Bei The­ater der Welt haben wir uns bemüht, ein ein Pro­gramm zusam­men­zustellen, das in diesem Sinne so uni­ver­sal ist, dass es auch hier in Ham­burg funk­tion­iert.

Amelie Deu­fl­hard Gle­ichzeit­ig muss man aber auch sagen, dass heute die Kul­turen längst nicht mehr so getren­nt sind wie vor 100 Jahren. Wenn wir nach West­afri­ka fliegen, dann trifft man einen Kün­stler in seinem Stu­dio, der natür­lich amerikanis­che Pop­musik hört und nicht nur tra­di­tionelle west­afrikanis­che Musik. Das­selbe in Chi­na oder im ara­bis­chen Raum und weltweit. Alle kom­mu­nizieren über Face­book,  früher musste man irgend­wo hin­fahren, heute kön­nen wir mit Kün­stlern prob­lem­los skypen, egal auf welchem Kon­ti­nent. Man muss nur guck­en, dass man eine Zeit find­et, wo bei­de ger­ade wach sind — trotz Zeitver­schiebung. Natür­lich hat jede Kul­tur ihr eigen­ständi­ges Erbe, das in vie­len der Arbeit­en auf­taucht, aber heute gibt es keine strik­te Tren­nung mehr, son­dern auch viel Durch­mis­chung, die eine glob­al und medi­al ver­net­zten Gesellschaft mit sich bringt.

Theater der Welt
Thalia-Inten­dant Joachim Lux: »Es geht also eher um ein Inter­esse für die Ander­sar­tigkeit und nicht um ein The­ateres­peran­to.« (Bild: kms | hhf)

Joachim Lux Durch­mis­chung und Par­al­le­len­twick­lung, würde ich sagen. Ich war in Chi­na, da habe ich eine Auf­führung gese­hen, die sich auf Ilya Kabakow bezieht und an Susanne Kennedy erin­nert. Und natür­lich habe ich mich gefragt, ob die Chi­ne­sen ihre Tech­nik von copy and paste jet­zt auch aufs The­ater anwen­den (lacht) oder ob es sich um weltweit par­al­lele und unab­hängige Entwick­lun­gen han­delt?

hhf  Gibt es denn so etwas wie eine inter­na­tionale Com­mu­ni­ty? Guck­en die aufeinan­der – und die daran anschließende Frage wäre, inwieweit denkt man, dass diese Grup­pen, wenn sie hier in Ham­burg zusam­menkom­men, sich gegen­seit­ig beäu­gen? Ist das beim Fes­ti­val geplant, gibt es ein Forum vor Ort, ein Get-togeth­er, etwas wie: Gruppe “Dubai besucht Gruppe New York”?

San­dra Küp­per Natür­lich, das ist schon der Ver­such, aber erzwin­gen kann man es nicht.

hhf  Ja, warum auch nicht? Ich kenne das von anderen Fes­ti­vals, wo die Teil­nehmer sich gegen­seit­ig zuhören, und denken: Ja span­nend, der inter­essiert mich. Gibt es da ein Forum?

András Siebold Es gibt da lei­der zwei Seit­en, die eine ist die Real­ität, und die andere das Ide­al, was man hat. Und natür­lich sieht das Ide­al so aus, dass die Kün­stler, die hier von wei­ther hinkom­men, sich auch möglichst viel anguck­en kön­nen. Das funk­tion­iert aber in der Real­ität meis­tens nicht so, wie man sich das vorstellt, weil sie oft rel­a­tiv kurz vor Ort sind, allein schon aus ökonomis­chen Grün­den. Wir kön­nen es uns nicht leis­ten, sie für drei Wochen einzu­laden. Manch­mal ergibt es sich aber, dann proben sie schon vorher hier und haben abends Zeit, sich etwas von den anderen Kün­stlern anzuse­hen. Oft ist es aber lei­der so, dass sie nach ihren eige­nen Auf­führun­gen nichts mehr anguck­en kön­nen, weil es ein­fach zeitlich nicht möglich ist. Wir haben das Pro­gramm zwar schon extra so disponiert, dass man mehrere Sachen an einem Abend sehen kann, aber in der Prax­is funk­tion­iert das lei­der oft nicht. Ander­er­seits ver­suchen wir, alle irgend­wo zusam­men­zubrin­gen. Deswe­gen gibt es Haven, das Fes­ti­val-Zen­trum im Hafen, und wir hof­fen, dass der Aus­tausch dort vielle­icht über das »wir guck­en uns die Arbeit­en der anderen an« hin­aus­ge­ht, und Kün­stler und Inter­essierte dort ins Gespräch kom­men

San­dra Küp­per Zudem gibt es noch ein paar Begeg­nungs­for­mate, wo Kün­stler, die zu gle­ichen Zeit­en da sind und an ähn­lichen The­men arbeit­en, sich zum Talk im Haven tre­f­fen kön­nen. Ger­ade sind wir noch dabei zu schauen, wer an welchem Tag tat­säch­lich vor Ort ist, und welche Kon­stel­la­tio­nen passen kön­nten. Und es gibt das Haus von Fer­nan­do Rubio mit der dura­tional per­for­mance THE TIME BETWEEN US, das er am Baak­en­hafen auf­baut, und so konzip­iert, dass er dor­thin andere Kün­stler mit ein­lädt, sich über ähn­liche Erfahrun­gen des Zu-Hause-Seins auszu­tauschen.

Amelie Deu­fl­hard Geichzeit­ig gibt’s eine große inter­na­tionale Com­mu­ni­ty sowohl von Kura­torin­nen und Kura­toren als auch von reisenden oder viel ein­ge­lade­nen Kün­stlern, die sich so ein Pro­gramm dann auch anguck­en und über­legen, ob das inter­es­sant ist. So ist es auch für Kün­st­lerin­nen und Kün­stler inter­es­sant, in einem span­nen­den Pro­gramm aufzutreten, das Verbindun­gen zu anderen Kol­le­gen mit sich bringt. Wir befind­en uns natür­lich auch in einem inter­na­tionalen Konkur­ren­zver­hält­nis zu einem großen Fes­ti­val, das ist vol­lkom­men klar.

hhf Konkur­ren­zver­hält­nis ist ein Stich­wort – ist das auch eine Leis­tungss­chau dessen, was hier stat­tfind­et, in dem man auch eigene Pro­duk­tio­nen ins Fes­ti­val bringt, um zu sagen, ok, wir machen es hier so. Set­zt man sich in den Ver­gle­ich?

Joachim Lux Das schon – aber The­ater der Welt  ist nicht ein inter­na­tion­al­isiertes Berlin­er The­atertr­e­f­fen …

Theater der Welt
Kamp­nagel-Inten­dan­tin Amelie Deu­fl­hard: »Avant­garde ist ein prob­lema­tis­ch­er Begriff, weil der so eurozen­trisch ist.« (Bild: kms | hhf)

San­dra Küp­per Nein, es ist ein the­ma­tis­ch­er Ver­gle­ich, die Öff­nung von Per­spek­tiv­en …

Joachim Lux … wir sind nicht herumge­fahren, um die besten Pro­duk­tio­nen der ganzen Welt zu sicht­en, das ist nicht das Ziel des Fes­ti­vals. Natür­lich will ein Fes­ti­val gute Arbeit­en zeigen. Aber es geht auch darum, wie die Pro­duk­tio­nen miteinan­der kor­re­spondieren. Und ob sie für ein Land sprechen. Der Titel The­ater der Welt for­muliert einen nicht ganz unbeschei­de­nen Anspruch. Aber er set­zt auf die Neugi­er am anderen und nicht nur auf high end Pro­duk­tio­nen.

hhf Wäre es ver­messen, zu sagen, es ist ein Blick auf das Welt­spek­trum des The­aters, wir haben wirk­lich ver­sucht, aus allen Eck­en der Welt das, was ger­ade an zeit­genös­sis­chem The­ater passiert, zusam­men­zukratzen …?

Joachim Lux Zusam­menkratzen klingt wie fast verge­bliche Fleißar­beit.

hhf Es geht nicht um Voll­ständigkeit, aber da ist schon der Ver­such, sich möglichst bre­it umzuschauen?

András Siebold Das ist der Ver­such, wobei uns von vorn­here­in klar war, dass dieser immer zum Scheit­ern verurteilt ist, weil man gar nicht aus allen Eck­en der Welt Sachen präsen­tieren kann. Das ist immer nur eine ganz kleine Auswahl, wobei wir immer­hin alle Kon­ti­nente abdeck­en.

Joachim Lux Es ist alles vertreten, Nor­dameri­ka, Südameri­ka, Afri­ka, Naher und Mit­tlerer Osten, Asien, Aus­tralien … Europa kommt fast ein biss­chen stiefmüt­ter­lich vor.

András Siebold Indi­en fehlt.

San­dra Küp­per Wenn wir die einzel­nen Län­der durchge­hen, fehlen so einige. (lacht)

hhf Im Vorge­spräch fiel der Begriff der »Avant­garde« und der »Mod­erne«. Inwieweit ist das unter diesem Focus zu betra­cht­en? Ist diese Art, das zu kuratieren, ein Griff in das The­ater­ver­ständ­nis ein­er klas­sis­chen Mod­erne, die von Avant­garde spricht?

Amelie Deu­fl­hard Wir haben uns irgend­wann angewöh­nt, »Avant­garde« wieder zu benutzen, weil alle The­ater in Deutsch­land sagen, sie seien zeit­genös­sisch und wir keine Dif­ferenzmit­tel mehr gefun­den haben. Aber eigentlich ist Avant­garde ein prob­lema­tis­ch­er Begriff, weil der so eurozen­trisch ist, und wir haben tat­säch­lich ver­sucht mit diesem Fes­ti­val an vie­len Eck­en und Enden den eurozen­trischen Blick aufzulösen. Wir machen zum Beispiel über 18 Tage einen Mid­dle East Pop Up Club — so ähn­lich wie ein Nacht­club in Damaskus — mit vie­len Konz­erten usw. Hier wird die Kun­st aus dem Nahen und Mit­tleren Osten durch das Musikpro­gramm ver­stärkt. Natür­lich haben wir ver­sucht, inter­es­sante The­ater­for­men zu find­en, aber ich glaube, das kann man mit Begrif­f­en wie »klas­sis­ch­er Mod­erne« oder »Avant­garde« gar nicht wirk­lich fassen, da unser Pro­gramm alle Kon­ti­nente umfasst und all diese Begriffe in Europa ent­standen sind.

hhf Was ist der Blick nach vorne dabei? Avant-garde im Wortsinne, als Vision des Voran­schre­it­ens?

Amelie Deu­fl­hard Für mich ist der Blick nach vorne ein­deutig der inter­na­tionale in die glob­al­isierte Welt, auch ein kri­tis­ch­er Blick auf Kün­stler­po­si­tio­nen von anderen Kon­ti­nen­ten oder ein selb­st­be­wusster Blick von anderen Kon­ti­nen­ten aus auf Europa. Wenn man jet­zt mal sagt, das deutsche Stadtthe­ater hat sich ursprünglich immer nur mit europäis­chen Sachen beschäftigt, ist das in ein­er glob­al­isierten Welt doch gar nicht mehr möglich. »Avant­garde« heißt also den Blick auch aus der Kun­st her­aus zu öff­nen und uns auch mit diskur­siv­en Posi­tio­nen in unser­er Hal­tung als Europäer zu hin­ter­fra­gen, die wir doch sehr dom­i­nant auf die Welt blick­en.

Joachim Lux Ich kann mit dem bBe­griff “Avant­garde” nichts mehr anfan­gen. Er stammt aus der Epoche der Mod­erne. Wir erleben heute eine Ver­mis­chung von Gen­res und Kun­st­gat­tun­gen, das ist inter­es­sant. Und schließlich: wir wollen unter anderem auch   ein Pub­likums­fes­ti­val machen.

Amelie Deu­fl­hard (lacht)

hhf  Gibt es eine Vision eines glob­al­isierten The­aters? Eines Uni­ver­salthe­aters?

Amelie Deu­fl­hard Den Begriff Uni­ver­salthe­ater wür­den wir eher nicht beanspruchen wollen. Denn es geht uns ja ganz stark um Diver­sität und um unter­schiedliche Sichtweisen, unter­schiedliche Fragestel­lun­gen, manch­mal vielle­icht auch um Antworten. Aber das Uni­verselle, das sagt, wir kön­nen alles erk­lären, ist genau der Blick, den inter­es­sante Kün­stler und Denker eben nicht haben.

Joachim Lux The­ater ist über­all auf der Welt zuallererst eine lokale Angele­gen­heit. Sie entste­ht aus der eige­nen Tra­di­tion, aus dem eige­nen Selb­st­be­wusst­sein, aus der eige­nen Posi­tion zu dem Kul­tur­raum und dem Land, in dem man lebt. Und das ist auch gut so. Manch­mal entste­ht daraus Weltthe­ater. Dann näm­lich, wenn eine bes­timmte Ebene der Abstrak­tion oder der über­ge­ord­neten Ver­ständlichkeit erre­icht wird, wo der Zuschauer nicht vor ein­er völ­lig frem­den Welt sitzt, zu der ihm der Zugang völ­lig ver­wehrt ist, son­dern ihn die Büh­nen­sprache trotz aller Fremd­heit anspricht. Dann entste­ht Kom­mu­nika­tion statt eth­nol­o­gis­ches Muse­um oder Abnor­mitätenk­abi­nett.

Manch­mal entste­hen auf dem Welt­markt Pro­duk­tio­nen, deren Kalkül von vorn­here­in auf Abstrak­tion, auf Markt geht und das Lokale eli­m­inieren – um diese Art von Glob­al­isierung sollte es nicht gehen. Man sollte sich die Neugierde auf andere Men­schen, Kul­turen und Kun­st­for­men erhal­ten. Dazu gehört auch, den eige­nen eurozen­tris­tis­chen Blick und seine Stan­dards hin­ter sich zu lassen. Das ist aber leichter gesagt als getan. Da ist noch viel Luft nach oben.

hhf  Die Frage ist ja, wie kommt man an das Pub­likum ran in ein­er Zeit, wo die Diskus­sion um Diver­sität in Kul­turen und Ander­sar­tigkeit­en so heiß disku­tiert wird? Wer geht da hin? Das Abop­ub­likum des Thalias oder das Kamp­nagelpub­likum, das jünger ist, reicht wahrschein­lich nicht aus, um so ein Fes­ti­val zu füllen. Wie möcht­en Sie neues Pub­likum erre­ichen?

Joachim Lux Ich glaube, dass die Zusam­me­nar­beit von Thalia und Kamp­nagel die Chance zu ein­er Erweiterung des Pub­likums ist. Auch die Zusam­me­nar­beit mit anderen lokalen Play­ern wie St. Pauli-The­ater oder sog­ar Ohn­sorg. Hinzu kommt eine weitläu­fig entwick­elte Musikschiene vom Ensem­ble Res­o­nanz bis zur Welt­musik mit ihren Com­mu­ni­ties. Unser­er Erfahrung nach inter­essieren sich auch die inter­na­tionalen Com­mu­ni­ties in unserem Land, z. B. wenn auf Kamp­nagel eine syrische Pop­kün­st­lerin auftritt oder im Thalia Chi­na zu Gast kommt, dann spricht sich das in Winde­seile rum. Die Chi­ne­sen reisen dann z.B. aus ganz Deutsch­land an.

Theater der Welt
Kamp­nagel-Dra­maturg András Siebold: »So ein Fes­ti­val ist auch immer in der Stadt für die Leute, die vielle­icht nicht hinge­hen.« (Bild: kms | hhf)

hhf  Gibt es einen päd­a­gogis­chen Impe­tus, zu sagen, jet­zt ver­suchen wir mal den blauen Blaz­erträger mit der roten Hose zu kriegen?

András Siebold Das inter­es­sante ist ja, dass die blauen Blaz­erträger mit der roten Hose,  sich ja bei sowas total gerne mitreißen lassen. Das ist ja das Tolle in Ham­burg, wenn so ein Fes­ti­val erst­mal Stadt­ge­spräch wird. Das Ding ist schon total los­ge­gan­gen. Es war wahrschein­lich die größte Pressekon­ferenz, die sowohl das Thalia als auch Kamp­nagel je gemacht hat, weil diese Syn­ergie von Anfang an schon gut funk­tion­ierte. Und im Moment deutet alles darauf hin, dass dieses Fes­ti­val eine große Sicht­barkeit in der Stadt haben wird, und ich glaube, ich glaube, viele Besuch­er wer­den kom­men, auch wenn sie die Namen oder Titel nicht ken­nen. Die dann ein­fach sagen, weißt du was, ich kenn da die drei Leute, die gehen da auch hin, lass doch mal guck­en. So ein Fes­ti­val ist ja auch immer in der Stadt für die Leute, die vielle­icht nicht hinge­hen. Es ist ein State­ment, das du abgib­st mit so einem Fes­ti­val, das auch für AfD-Wäh­ler nicht unin­ter­es­sant ist. Weil die auch sehen, dass eine Stadt sich mit so einem Fes­ti­val posi­tion­iert. Das wird vom Außen­min­is­ter eröffnet, der auch das Vor­wort im Pro­gramm geschrieben hat, da ste­ht eine bre­ite Stadt- und sog­ar Lan­des­ge­sellschaft dahin­ter, die so ein Fes­ti­val trägt. Dazu kommt, das, was Amelie meinte: Die Aus­sage der Diver­sität und der kri­tis­chen Auseinan­der­set­zung mit sich selb­st, die so ein Fes­ti­val auf den Fah­nen trägt, die erre­icht natür­lich auch Leute, die vielle­icht nicht hinge­hen. Die denken dann trotz­dem mal drüber nach, dass sie in ein­er Gesellschaft leben, wo ihre Hal­tung vielle­icht nicht von allen getra­gen wird. Die Auseinan­der­set­zung schafft so ein Fes­ti­val dann schon

Joachim Lux Da ist gelebte Vielfalt und gelebte Offen­heit…

Amelie Deu­fl­hard  … die ja auch hier in Ham­burg vorkommt. Wir haben ja eine große Anzahl an Ein­wan­der­ern aus allen Län­dern hier in der Stadt. Es ist natür­lich ein wirk­lich­es Ziel, dass wir es schaf­fen, die Com­mu­ni­ties zu verbinden, dass dann, wenn wir ein Stück aus Syrien zeigen, dann auch syrische Ein­wan­der­er hier sind …

András Siebold … oder aus Nordafri­ka auch … wir sprechen die Leute an mit diesen The­men, das ist nicht nur ein Fes­ti­val für die eben die Blaz­erträger.

Joachim Lux Deswe­gen ist es umso wichtiger, dass das Fes­ti­val in die Bre­ite geht und nicht nur für Spezial­is­ten gemacht wird. Man hätte natür­lich auch eine Kun­stmesse für Spezial­is­ten machen kön­nen, klar. Aber das war nicht der Ansatz. Wir woll­ten ver­ständlich bleiben, anschlussfähig. Das schließt die Präsen­ta­tion von Pro­gram­men, die her­aus­fordern, ja nicht aus.

András Siebold Das stimmt, wobei ich da auch immer ergänzen würde:  Die Sachen, die wir hier drin haben, ger­ade aus den Maghreb-Staat­en, die zeigen auch, dass Avant­garde ein Begriff ist, der da genau­so eine Rolle spielt wie hier. Wir haben ja ganz viele Sachen ein­ge­laden, die eigentlich echt auf der Höhe der Zeit sind. Das sind Pro­duk­tio­nen, die eben nicht dem Klis­chee von exo­tis­chem The­ater entsprechen. Das sind alles auch Leute, die mit dem Inter­net zu tun haben, die genau so die glob­alen Sounds mit­bekom­men wie andere auch.

Thalia-Dra­matur­gin San­dra Küp­per »Wenn wir die Län­der durchge­hen, fehlen so einige …« (Bild: kms | hhf)

Joachim Lux Wir haben aus Chi­na mit Absicht nicht die Peking Oper ein­ge­laden. Genau das woll­ten wir nicht.

hhf  Zum Schluss – die Gretchen­frage, die schon bei der allerersten Pressekon­ferenz im Juni 2015 aufge­fall­en ist: Wo ist das Schaus­piel­haus?

Joachim Lux Das müssen sie die vom Schaus­piel­haus fra­gen. Also – die waren ein­ge­laden, mitzu­machen, haben sich aber dage­gen entsch­ieden …

hhf  In dieser Pressekon­ferenz hieß es noch, es sei eine Koop­er­a­tion geplant, jet­zt im Pro­gramm sieht man nicht mal mehr das Logo?

Amelie Deu­fl­hard Weil sie tat­säch­lich nicht dabei sind.

András Siebold Man kann auch sagen, wir hät­ten sie gerne dabei gehabt. Das ist nicht so, dass wir die Entschei­dung getrof­fen haben.  Wir haben mit denen gere­det, wie mit allen anderen auch. Am Schluss war es ein­fach eine Entschei­dung des Schaus­piel­haus­es, sich auf ihr eigenes Pro­gramm zu konzen­tri­eren

hhf Gab es eine offizielle Begrün­dung?

András Siebold Wir sehen die doch die ganze Zeit. Es gab wed­er Stre­it noch son­st was. Wir sind ja schon vier Köpfe in den Sitzun­gen, vielle­icht hat sich das Schaus­piel­haus gesagt, komm, wir haben so viel zu tun, wir wer­den unser Ding da machen. Es gab keine offizielle Begrün­dung, son­dern es war eher so, dass man irgend­wann gesagt hat: Ok, komm, macht ihr mal und wir konzen­tri­eren uns auf unser Ding. Aber ohne irgendwelchen bösen Absicht­en oder Stre­it oder son­st was

hhf Es ist schon ein biss­chen ver­wun­der­lich gewe­sen, weil das Fes­ti­val sein­erzeit von Frau Kissel­er als ein Leucht­turm­pro­jekt für Ham­burg dargestellt wurde – was es ja auch ist – und dann hat man eines der ganz großen Häuser nicht mit im Boot?

András Siebold Auch mit der Oper haben wir am Anfang viel mehr gedacht, dass wir etwas zusam­men machen. Das hat­te da aber struk­turelle Gründe, weil die in ihren Pla­nun­gen viel weit­er voraus waren. Sie haben uns jet­zt noch sehr unter­stützt mit Musik­ern, aber die hat­ten eben eine andere Zeit­pla­nung, das hat dann nicht funk­tion­iert

Joachim Lux Da war sog­ar mal eine ganze Pro­duk­tion mit der Staat­sop­er geplant. Beim Schaus­piel­haus gibt es ver­mut­lich eine andere Geschäft­spoli­tik. Die kooperieren auch son­st nicht viel, son­dern entwick­eln ihr Pro­fil eher aus der Abgren­zung. Aber das sind Mut­maßun­gen, das müssen sie tat­säch­lich dort erfra­gen.

UND WO IST DAS SCHAUSPIELHAUS?

Wir haben Karin Beier, die Inten­dan­tin des Deutschen Schaus­piel­haus­es in Ham­burg, um eine Dar­legung ihres Stand­punk­tes zur fehlen­den Beteili­gung des Haus­es beim Fes­ti­val ›The­ater der Welt‹ gebeten – hier ihre Antwort:

»So ein großes Fes­ti­val hat einen großen Vor­lauf: Als die Pla­nun­gen für The­ater der Welt began­nen, hat­ten wir unser erstes Jahr in Ham­burg ger­ade hin­ter uns. Das war bekan­ntlich ein katas­trophal anstren­gen­des Jahr, da sich der Eis­erne Vorhang selb­st­ständig machte, unsere gesamte Dis­po­si­tion außer Kraft set­zte und wir den­noch in der Hälfte der Zeit alle geplanten Pre­mieren her­aus­ge­bracht haben.

Nach diesem anstren­gen­den Start­jahr, das ein­er län­geren Bauphase und damit eben­falls einem Aus­nah­mezu­s­tand fol­gte, war erst ein­mal eine Kon­so­li­dierung des Haus­es notwendig. Deshalb habe ich in Absprache mit meinen Mitar­beit­ern beschlossen, alle Kräfte zu bün­deln, um den nor­malen Spiel­be­trieb im Schaus­piel­haus voranzubrin­gen.

Das hat sich m. E. auch aus­gezahlt. Im Übri­gen haben wir dem Fes­ti­val bzw. der Fes­ti­valleitung im organ­isatorischen Sinne – also, was Spiel­stät­ten und ähn­lich­es anbe­langt – immer Koop­er­a­tions­bere­itschaft sig­nal­isiert.«

Das Gespräch mit dem Kura­to­ri­um fand am 4. April 2017 im Inten­dan­ten­büro des Ham­burg­er Thalia-The­aters statt. Das Pro­gramm des Fes­ti­vals »The­ater der Welt« find­en Sie hier, dort lassen sich auch Tick­ets für die einzel­nen Ver­anstal­tun­gen buchen.

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